piwik no script img

Der verspätete Lettländer

Miguel Induráin stand vor der letzten Etappe der 81. Tour de France kurz vor seinem vierten Sieg in Folge / Ugrumows Spurt kam zu spät  ■ Von Matti Lieske

Berlin (taz) – Leicht reden hat Miguel Induráin, der, sollte ihm nicht gestern auf dem Weg zu den Champs-Elysées (nach Redaktionsschluß dieser Seite) ein unverhofftes Mißgeschick widerfahren sein, zum vierten Mal in Folge die Tour de France als Sieger beendete. „Meine Motivation ist nicht dieselbe, wenn ich das Rennen schon gewonnen habe“, kommentierte der Spanier kühl seinen dritten Platz beim Bergzeitfahren der 19. Etappe über 47,5 km. Seine alten Rivalen wie Tony Rominger, Gianni Bugno oder Claudio Chiappucci, vor der Tour als die größten Konkurrenten gehandelt, hatte er mit einer frühzeitigen Demonstration seiner unerbittlichen Stärke in die Schranken gewiesen, diejenigen, die ihm zum Schluß am dichtesten auf die Pelle rückten, stellten sich zu dumm an (Pantani), hatten Pech (Pantani) oder kamen zu spät in Schwung (Ugrumow).

So blieb es Induráin erspart, den Nachweis anzutreten, daß er tatsächlich noch etwas zuzusetzen gehabt hätte. Der 30jährige, der „im Feld unheimlich beliebt“ ist (Udo Bölts), konnte sich darauf beschränken, das Rennen sozusagen aus der Halbdistanz zu kontrollieren, und gefahrlos zulassen, daß vor allem der Lette Pjotr Ugrumow auf den letzten Etappen gewaltig Zeit gutmachte. Auf dem 17. Abschnitt von Bourg d'Oisans nach Val Thorens, der Königsetappe, hatte der Mann im gelben Trikot sich solange an Pantanis und Etappensieger Ugrumows Fersen geheftet, bis klar war, daß sie seine Position nicht ernsthaft gefährden konnten, beim Zeitfahren achtete er vor allem darauf, heil ins Ziel zu kommen. „Ich wollte keine Risiken bei den Abfahrten im Regen eingehen“, erklärte Induráin. „Als ich hörte, wie weit Ugrumow vorn war, bin ich nur noch mit einer sicheren Geschwindigkeit gefahren.“

Ugrumow gewann das Zeitfahren in überragender Manier, schob sich auf den zweiten Rang der Gesamtwertung und wird sich ärgern, daß er erst in den Alpen zu solch großer Form auflief. Schon beim Giro d'Italia des vergangenen Jahres war der 33jährige dem Sieger Miguel Induráin am Schluß gehörig auf die Pelle gerückt. Der Spanier mußte damals erleben, wie ihn Ugrumow auf den letzten Kilometern der vorletzten Etappe praktisch stehenließ, sein Polster reichte jedoch, um das Rennen mit 58 Sekunden Vorsprung zu gewinnen. Diesmal hatte der Lette, dessen Tourvorbereitung durch einen Schlüsselbeinbruch im späten Frühjahr empfindlich litt, nicht nur beim ersten Einzelzeitfahren sechs Minuten auf Induráin verloren, sondern zusätzlich in den Pyrenäen mehr als sechs Minuten eingebüßt. Zeit, die ihm am Ende bitterlich fehlte, um den Spanier wenigstens noch einmal ins Schwitzen zu bringen. Fast neun Minuten holte Ugrumow auf seiner Parforcejagd durch die Alpen mit zwei Etappensiegen und einem zweiten Rang auf, 5:39 fehlten ihm schließlich zur Spitze.

Ein anderer Fall ist der 24jährige Marco Pantani, den sie in Anlehnung an seinen Herrn und Meister im Carrera-Team, Claudio „Diavolo“ Chiappucci, gelegentlich „Diavoletto“ (Teufelchen), häufiger aber wegen seiner großen Ohren „Elefantino“ nennen. Das italienische Leichtgewicht hetzt die steilsten Pässe hinauf wie ein junges Gemslein, nur leider meist zu früh oder zu spät. Bei Abfahrten dagegen legt sich Pantani gern auf die Schnauze. Zweimal verpaßte er einen Etappensieg, weil er sich nicht rechtzeitig zur Verfolgung aufraffte, dann zog er sich auf der 17. Etappe bei einem Sturz eine schmerzhafte Knieverletzung zu, wollte aufgeben, wurde zum Weiterfahren überredet und sauste noch an Induráin vorbei auf den dritten Platz. Beim Bergzeitfahren wurde er trotz des lädierten Knies, das ihn vor Pein kaum schlafen ließ, Zweiter und schubste Frankreichs Liebling Richard Virenque aus dem Führungstrio der 81. Tour de France.

An der Überlegenheit des Miguel Induráin vermochte diesmal noch niemand zu kratzen, doch die Herausforderer der Zukunft meldeten vorsichtig ihre Ansprüche an. Die Generation der 24 bis 26jährigen um Pantani sowie die Franzosen Virenque, Luc Leblanc und Armand de las Cuevas schickt sich an, die alten Kämpen Bugno, Rominger und Chiappucci zu beerben. Und dann ist da ja auch noch der Giro-Sieger Jewgeni Berzin aus Rußland, der sich die Frankreich-Rundfahrt ersparte, nach Einschätzung seines Teamchefs aber auch keine Chance gegen einen Induráin in dieser Form gehabt hätte.

Der Spanier befaßte sich, während sein vierter Tour-Sieg noch nicht einmal ganz unter Dach und Fach war, bereits mit neuen Zielen. Bis zum 20. August will er in Bordeaux den Stunden-Weltrekord des Schotten Graeme Obree (52,173 km) angreifen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen