piwik no script img

Es rieselt auf die Leinwand

Das traditionsreiche Babylon-Kino in Mitte braucht eine Grundsanierung. Jetzt stehen 100.000 Mark aus einem EG-Topf zur Verfügung und können doch noch nicht verwendet werden  ■ Von Barbara Baltsch

Einst hatten hier über 1.200 Gäste Platz: Heute müssen die BesucherInnen des Filmkunsthauses Babylon am Rosa-Luxemburg- Platz im Foyer Platz nehmen, wo vor einer kleinen Leinwand notdürftig 67 Stühle aufgestellt sind. Das Babylon ist schon lange kein „schickes“ Haus mehr: Seit Jahren rieselt der Putz von Decken und Wänden, Logen und Rang sind seit Jahrzehnten gesperrt. Selbst eine defekte Heizungsanlage konnte die Babylon-Enthusiasten nicht abschrecken, die an frostigen Wintertagen mit dicken Strickjacken und Wollmänteln in die allabendlichen Aufführungen kamen und sich mit kostenlos verteilten Tees und Glühwein warmhielten.

Die Heizung und die ebenfalls maroden Toilettenanlagen sind mittlerweile ausgetauscht. Doch dafür droht dem alten Lichtspielhaus zwischen Mitte und Prenzlauer Berg eine viel größere Katastrophe: Der Einbruch der Kinodecke. Wegen eines Dachbalkens, der durch einen Schaden im Zweiten Weltkrieg erneuert werden mußte, rieselte es im vergangenen August schon von der Saaldecke. Ein riesiges Gerüst mit meterhohen und meterbreiten Stahlverstrebungen, das monatlich auch Tausende von Mark kostet, hält das Kino und die Hoffnungen von Betreibern und etlichen Fans am Leben.

Der Verein „Berliner Filmkunsthaus Babylon“, der das Lichtspieltheater 1991 von der Wohungsbaugesellschaft Mitte gemietet hat und betreibt, kämpft seit Jahren für die Rekonstruktion des denkmalgeschützten Hauses. Doch es fehlt an Geld, sehr viel Geld: Mindestens 20 Millionen Mark schätzen Denkmalschützer und Gutacher, die das Babylon von Grund auf untersucht haben, angefangen von allen baulichen Veränderungen bis hin zur ursprünglichen Farbgebung.

Im Kampf um die Erhaltung hat das Kino nun von ungewohnter Seite Hilfe erhalten: Die Europäische Kommission in Brüssel, die sich seit Jahren für die Erhaltung architektionischen Erbes einsetzt, hat das Filmkunsthaus in diesem Jahr in ihre Förderung einbezogen. Mit 100.000 Mark will sie die Sanierung unterstützen. Da die Europäische Union Projekte grundsätzlich nur zu einem Viertel unterstützt, kommen nun noch 300.000 Mark vom Berliner Kultursenat hinzu.

„Eigentlich hatten wir 300.000 Mark bei der Kommission beantragt“, erläutert die Programmleiterin des Babylon, Cornelia Klaus. Mit den städtischen Geldern hätten dann insgesamt 1,2 Millionen Mark zur Verfügung gestanden, mit dem der seit den 70er Jahren gesperrte Rang zu einem separaten kleinen Kinosaal ausgebaut werden sollte. So aber wird es dafür nicht ganz reichen, realistischer wäre beispielsweise eine – ebenfalls dringend notwendige – Fassadenrestauration.

Im Rahmen ihres Pilotvorhabens zur Erhaltung architektonischen Erbes in Europa stellt die Europäische Kommission in diesem Jahr insgesamt rund sieben Millionen Mark für die Restaurierung historischer Bauten der Unterhaltungs- und darstellenden Kunst bereit. Dieses Geld verteilt sich EU-weit auf 53 Pilotvorhaben. In Deutschland werden neben dem Babylon das Schauspielhaus in Berlin, die Stadttheater in Lübeck und Hildburghausen, das Staatstheater Cottbus, das Deutsche Nationatheater in Weimar und das Schauspielhaus in Bochum finanziell unterstützt.

Daß das Filmkunsthaus Babylon in Deutschland das einzige Kino ist, das gefördert wird, hat seinen Grund: Jahrzehntelang galt es als das Volkskino Berlins schechthin. 1928 als größtes Uraufführungskino der Stadt von Hans Poelzig im neusachlichen Stil entworfen, wurde es im April 1929 mit dem Stummfilm „Fräulein Else“ und dem Ballett „Alexander Oumansky“ eröffnet. Die Berliner Gazetten schrieben damals: „Der Volksgegend entsprechend hat er (Hans Poelzig) kein ausgesprochenes Luxuskino geschaffen, sondern ein gediegen wirkendes Volkskino.“

Obwohl noch im gleichen Jahr der Tonfilm in das Haus Einzug hielt und deshalb umgerüstet werden mußte, hielt man am ursprünglichen Konzept mit Kinoorgel und Orchestergraben fest: Neben Tonfilmen wurden hier auch Theaterstücke, Revuen und – als Brücke zu dem benachbarten Scheunenviertel – jüdische Kleinkunst gezeigt.

Nach Hitlers Machtergreifung war das Babylon Zufluchtsort für Regimegegner. Sie druckten hier kommunistische Flugblätter und richteten unter der Treppe ein kleines Waffenarsenal ein. Noch heute erinnert im Foyer eine Gedenktafel an den Filmvorführer Rudolf Lunau, der 1933/34 hier eine Wiederstandszelle der KPD gründete. Nach dem Krieg 1945 wurde das Babylon zunächst von den Sowjets als Versammlungsstätte genutzt und 1948 schließlich wieder als Premierenkino mit antifaschistischen DEFA-Filmen des „Sovexport“ wiedereröffnet.

Nachdem das Babylon in den 60er Jahren durch die Konkurrenz neuer Kinos seine exponierte Stellung als Premierenkino verlor, liefen hier bis zur Wende 1989 vor allem das vom staatlichen Filmarchiv der DDR-Kinos weitergegebene „Camera-Programm“, das DEFA-Filme und filmhistorische Retrsopektiven beinhaltete. Wie das Arsenal wird das Babylon mittlerweile kommunal gefördert, der künstlerische Anspruch des Programms konnte dadurch erhalten bleiben.

Die jetzt von der Europäischen Union bereitgestellten Gelder sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Doch allein die Tatsache, daß das Babylon europaweit zu den 53 geförderten Projekten gehört, unterstreicht, wie erhaltungswürdig es ist. Immerhin hatten 522 Theater, Konzertsäle Opernhäuser und Filmtheater Anträge gestellt.

Doch selbst wenn mehr Geld vorhanden wäre, sind den Betreibern des Babylons die Hände noch gebunden. „Solange die Eigentumsfrage des Hauses nicht geklärt ist, können wir nichts unternehmen“, erklärt Kinoleiter Klaus Kreiner. Wie es im Senat heißt, soll dies in den nächsten Wochen entschieden werden. Aber das hören die Leute im Babylon schon seit Monaten. So bleiben alle Arbeiten, wie die derzeitige Restaurierung der alten Kinoorgel, zunächst Stückwerk.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen