■ Die japanische Sozialdemokratin Itoh meint:: „Mit Veränderungen leben lernen“
Hideko Itoh, 50jährige Rechtsanwältin aus Hokkaido, ist Parlamentarierin der Sozialdemokratischen Partei Japans (SDPJ) und gehört der Parteilinken an. Sie war Ende Juni maßgeblich an der Bildung der neuen Koalitionsregierung mit dem „Erzfeind“ LDP unter dem SDPJ-Vorsitzenden Tomiichi Murayama beteiligt.
taz: Wo sehen Sie die derzeit wichtigsten Reformaufgaben in Japan?
Hideko Itoh: In der Vergangenheitsbewältigung, weil meine Partei hier am meisten leisten kann – und in der Deregulierung der Wirtschaft. Ohne Deregulierung keine Verwaltungsreform, ohne Verwaltungsreform keinen Abbau des Zentralismus, ohne Abbau des Zentralismus kein Demokratiegewinn. Zunächst wird die Deregulierung zu größerer Arbeitslosigkeit führen. Doch die Vollbeschäftigung in Japan ist Teil der ungesunden Verflechtung zwischen Staat und Wirtschaft. Die Japaner müssen lernen, mit den Veränderungen des neuen Zeitalters zu leben, auch wenn das den Verlust liebgewonnener Sicherheiten einschließt.
Erstmals seit der Nachkriegszeit hat Japan wieder einen linken Premier. Was ändert sich?
Murayamas Wahl hat symbolische Bedeutung, weil der Premier in Japan wenig Macht ausübt. Nur in der Außenpolitik hat Murayama Einfluß: keine Forderung nach einem Sitz im Weltsicherheitsrat, Dialog statt Sanktionen gegenüber Nordkorea und eine klare Absage an jegliches Militärengagement im Ausland.
Sind aber dann mit der LDP Reformen überhaupt möglich?
Es wäre unklug, die LDP zu verteufeln. In unserer Koalition mit den anderen Parteien bis zum April diesen Jahres stellten wir fest, daß gerade die Erneuerungspartei noch reaktionärer war als die LDP. Ein Drittel von ihr ist wahrscheinlich unbelehrbar, doch mit dem Rest kann man kooperieren. Meine Partei kann von der LDP viel lernen, vor allem, wie Politik umsetzbar ist. Wir wollen mit der LDP ein neues Antikorruptionsgesetz im Parlament durchsetzen. Da kann sich zeigen, ob sich die LDP geändert hat.
Kann die SDPJ, die gute Beziehungen zu China unterhält, die Chance zu einer historischen Aussöhnung nutzen?
Murayama könnte nach Nanking fahren, dem Ort des größten japanischen Massakers, so wie einst Willy Brandt das Warschauer Ghetto besuchte. Doch er ist dafür wohl nicht mutig genug. Man kann von ihm keine Führungskraft erwarten.
Hat sich die Situation der Frauen in der japanischen Politik verbessert?
Nein, in dieser Hinsicht bleiben die Parteien feudalistisch und konservativ. Es ist nach wie vor undenkbar, daß sich eine Partei bewußt für die Förderung der Frauen einsetzt. Die meisten Politikerinnen sind Alibi-Frauen geblieben.
Gibt es eine Chance für mehr Moral in der japanischen Politik, zum Beispiel im Umgang mit den koreanischen Kriegsopfern oder in der Frage der Menschenrechtsverletzungen in Birma?
Das Mißtrauen in die Politik ist geblieben. Junge Leute wollen nicht mehr Politiker werden, und vor allem Frauen interessieren sich immer weniger für Politik. Ich bin deshalb hinsichtlich der Grundmotivationen für den Wandel pessimistisch, obwohl sich der Politik derzeit so große Entwicklungschancen bieten...
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