: Die Lust auf ein dreckiges Lied
Vom Schulhofclown über College of Hearts zum Solisten: Thomas Pigor hat sich das Entertainment von der Pieke an beigebracht und sinniert seither öffentlich über Geld, Sex und Religion ■ Von Petra Brändle
Thomas Pigor, geborener Unterfranke und diplomierter Chemiker, ist auf der Bühne ein Teufel. Kaum steht er auf den Brettern, unterwirft er sich nahezu alles. Tempo und Witz kennen dann weder Scham noch Grenze, ruppig bügelt er seinen Begleiter am Klavier, Benedikt Eichhorn, nieder und becirct sein Publikum. Thomas Pigor ist heute 38 und hat siebzehn Jahre Bühnenerfahrung hinter sich.
Angefangen hat er als Pausenclown in der Schule, dann kam eine pantomimische „Max und Moritz“-Aufführung samt lateinisch kommentierendem Chor. Nach seiner Moritz-Darstellung himmelte ihn die Klassenschönste an: „Thomas, du mußt unbedingt Schauspieler werden.“ Die Empfehlung geriet in Vergessenheit. Aber mit dem studentischen Musikkabarett „Knacko & Konfetti“ und einem Tingeltangelleben zwischen Jugendklub, Autobahn und Dorftheaterstadel wurde die Bühnenkarriere dann doch eingeleitet. Ganz oder gar nicht, das war damals bereits die Devise. Das hieß: Gelebt wird ausschließlich von der Bühnenarbeit.
Mit dem Chemie-Diplom in der Tasche und dem festen Vorsatz, diese Qualifikation verkümmern zu lassen, zog Pigor 1983 also nach Berlin und brachte hier mit Kollegen aus der Kabarett-Szene „New York muß brennen“ auf die Bühne. Ein ungewöhnliches Unterfangen aus heutiger Sicht: zu Hausbesetzerhochzeiten ein Musical, Trivial-Kommerzielles auf der Off-Bühne!
Das Stück lief hervorragend, die Musicalgruppe „College of Hearts“ war gegründet. Als Buchautor, Songtexter, Komponist, Darsteller und Regisseur arbeitete Pigor für das „College“, „King Kurt“ (1985), „Blutiger Honig“ (1988) und „Der Gestiefelte“ (1991) waren ihre Hits.
Doch mit dem Erfolg kam die Trennung vom „College of Hearts“. „Was kann man im Off- Bereich mehr erreichen als sechs Wochen ausverkaufte Vorstellungen in der Ufa?“ Die Truppendynamik war spannungsreich, die finanzielle Situation auslaugend. Dennoch hat er bis heute keinen Job angenommen, zu dem er nicht wirklich stehen konnte. Selbst von der etwas lukrativeren Schreiberei fürs Fernsehen ließ er sich, nachdem er eine schwache Minute überstanden hatte, nicht ködern. „Ich war wirklich 'n Bohemien“, sagt Pigor und erzählt von seiner (Über-)Lebenskunst.
Jahrelang hat er für eine lächerlich geringe Miete in einem Kreuzberger Gartenhäuschen auf elf Quadratmetern gelebt. Heute wohnt er schön und etwas teurer in Schöneberg und arbeitet nicht mehr ausschließlich für die Off- Szene.
Mit „Cinderella“ (Buch, Songtexte, Musik), einem Musical für Kinder und Erwachsene, öffneten sich ihm 1990 bundesweit die Pforten ins Stadttheater. Die „Kinderschiene“ ist zwar nicht unbedingt seine Herzensangelegenheit, macht ihm jedoch Spaß. Mit dem Pianisten Benedikt Eichhorn arbeitet er außerdem an einem Abendprogramm, aus dem sonntäglich Ausschnitte im „Club existentialiste“ präsentiert werden. Außerdem ist eine zeitgenössische Oper in Arbeit und ein Rap-Musical über die Kreuzberger Historie der 80er mit der Kabarettistengruppe „Zwei Drittel“.
Texte für diverse Kabarettgruppen verbucht er in seiner Vita unter „ferner liefen“. Ideen und Geschichten habe er ständig im Kopf, das Problem sei nur, zur richtigen Zeit das Dringendste, das „Muß“ zu erledigen. Unter Umständen schreibt Pigor seine Liedtexte auch am Lenkrad. So hatte er einmal, auf der Fahrt nach Frankreich, Lust auf ein „richtig dreckiges Lied“. Das Ergebnis, der „Bordellbesuch im Senegal“, ist gleich in doppeltem Sinne eine Verkehrsgefährdung. An- und scharfgemacht von der dicksten und ältesten Nutte im schmutzigsten Bordell Senegals, landet der Besucher, weil leider kondomlos, in der charmanten Acht-Minuten-Ballade im Straßenstaub. Eine höchst amüsante Safer-Sex-Story, in der Pigor Sprachfluß, Handlung und Liedrhythmus brillant verknüpft hat.
Er singt seine rotzfrechen Texte so, wie er spricht: locker umgangssprachlich, manchmal auch fränkisch. Wer in den Nebentönen auch einen Hauch Romantik erkennt, dem widerspricht Pigor. Romantisch? Nein, das sei er ganz und gar nicht, im Gegenteil. Stets brauche er einen Kontrapunkt, um rosaroten Liebesträumen einen Knuff zu versetzen.
Gegen „Zeigefinger-Stücke“ ist er gar allergisch, platte oder eindeutige, politisch korrekte Botschaften sind ihm ein Graus. Ihm liegt das Subtile, gerade das sind seine Themen jedoch eher nicht: „Geld, Sex und Religion“, das seien die einzig wahren Themen dieser Welt, erkannten Pigor und seine Freunde eines Nachts im „Kumpelnest“ in nicht mehr ganz nüchternem Zustand.
Aber auch bei Tageslicht und Capucchino steht er noch zu diesen drei Eckpfeilern, auch wenn's auf Berlins Kabarett- und Musikbühnen nur wenig Interesse für Religiöses gibt. Vielleicht wartet deshalb sein Libretto zur zeitgenössischen Oper „Die Entstehung des Eros“ nach einer Erzählung Platons noch auf die Uraufführung.
Beim Sex hingegen ist die Interessenlage eindeutiger, die Ausgestaltung jedoch um so pikanter. Je „freizügiger“ die Gesellschaft, desto größer gemeinhin die Gefahr, vor gähnendem Publikum zu spielen. Pigor jedoch versucht nicht, das derzeitige Modethema der derberen Berliner Off-Szene, die SM-Spielchen, auszureizen, sondern bleibt sich und seinen kleinen, verrückten Ideen treu. Pigor on stage: Ein erfreuliches Ereignis mit jahrelang bewährtem Gütesiegel, sehr zu empfehlen.
Mit etwas Glück sind Thomas Pigor und Benedikt Eichhorn (u.v.a.) sonntags zwischen 22 und 2 Uhr im „Club existentialiste“ in der Bar des Bunkers, Reinhardt-/ Ecke Albrechtstraße zu sehen. Vorsicht: Veranstaltungsort kann sich ändern! Infos: 691 99 22)
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