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Die Eiterbeule im Programm

Dem frauenpolitischen Hörfunkmagazin „Zeitpunkte“ droht mal wieder das Aus. Totz guter Einschaltquoten wird es als altmodisch geschmäht.  ■ Von Sonja Schock

Hiermit teilen wir mit, daß wir dem bewaffneten Kampf abschwören. Sie konnten das nicht sehen. Aber bisher saßen wir immer mit gezücktem Messer, entsicherter Pistole und Strumpfmaske über dem Gesicht am Mikrofon, um für alle Fälle gewappnet zu sein. Natürlich haben wir mit Decknamen gearbeitet. Das ist jetzt vorbei. Wir wollen raus aus der Illegalität. Wir sind doch auch ganz normale Menschen. Wir werden ja auch älter, weiser, weicher. Ganz aufhören können wir aber nicht. Fürs erste, dachten wir, würde es uns reichen, wenn wir jeden Tag ein kleines Erdbeben in Ihrem Kopf veranstalten (...) In diesem Sinne: Ihr Kommando zärtliche Zeitpunkte.

Hätten die Redakteurinnen und Moderatorinnen des frauenpolitischen Magazins des SFB am 8. August gewußt, was ihnen acht Tage später blühen würde, sie hätten die Waffen nicht beiseite gelegt, oder es zumindest nicht über den Äther verkündet. Denn eine Woche nach der launigen Ansage erfuhren sie von ihrer baldigen Auflösung. Bisher sind sie in solchen Fällen gewandert: von einer Frequenz zur anderen. Aber damit soll jetzt Schluß sein – die „Zeitpunkte“ sind mittlerweile durch alle SFB- Frequenzen durch. Ihr letztes Ziel, wenn es nach dem Willen des Wellenchefs, Wilhelm Matejka, und des Programmdirektors Hörfunk, Jens Wendland, geht: Endstation nowhere.

Vor fünfzehn Jahren begann die Geschichte der tapferen Wandersfrauen auf der populären Welle SFB2. Nach sieben fetten Jahren zur besten Sendezeit fiel die Sendung zum ersten Mal einer Rundfunkstrukturreform zum Opfer. Diese erwies sich nicht nur für das Frauenmagazin als medienpolitische Dürre. Die neuen Devisen hießen Durchhörbarkeit, verringerter Wortanteil, zentrale Musikauswahl. Das Zugpferd „Zeitpunkte“, das die zweithöchsten Einschaltquoten der Welle brachte, wurde kurzerhand zum Programmblocker umdefiniert und schließlich nach langen Querelen und einer HörerInnenprotestaktion auf die Rentnerwelle SFB1 verbannt. Die Hörerzahlen auf SFB2 bewegten sich in den folgenden Jahren beständig Richtung Tiefparterre; die treuen „Zeitpunkte-“HörerInnen drehten derweil am Sendersuchknopf, um die Frauen zwischen Heino und Egerländer Blasmusik neu zu orten.

Alltagsdreck in den Hallen der schönen Künste

1990 wurden sie abermals abgeschoben. Wieder einmal sollten die „Zeitpunkte“ in die Wüste geschickt werden, wieder einmal protestierten HörerInnen und zahlreiche Prominente von Helga Königsdorf bis Ulrich Roloff-Momin. Und wieder einmal mußte eine andere Welle Asyl gewähren: Das Frauenmagazin landete auf SFB3, der Schiene für die Hochkultur – eine Notlösung, die beide Seiten wenig glücklich machte. Denn auch das Reich von Bach und Bartók war nicht gerade das Umfeld, das die „Zeitpunkte“ sich gewünscht hätten. Und die Einheimischen der Kulturwelle machten keinen Hehl daraus, daß sie von dem Neuzugang wenig begeistert waren. Denn die Frauen schleppten den Dreck des Alltags in die Hallen der schönen Künste. „Wir waren für viele von denen von Anfang an so eine Art Eiterbeule im Programm“, erinnert sich eine der Mitarbeiterinnen*. Die Frauen blieben sich und ihren Themen treu. Zwar wurde mehr Kultur ins Programm genommen, wurde nicht mehr, wie in Anfangszeiten, über Bürgerinitiativen und lokale Frauenprojekte berichtet, sondern der Blick stärker auf größere politische Zusammenhänge gerichtet; solch unappetitliche Themen wie Kindesmißbrauch, Obdachlosigkeit und Gewalt blieben aber im Programm. Dafür bekamen die „Zeitpunkte“ vom Wellenchef das Etikett „unzeitgemäß“ verliehen – und gelten wieder einmal als Programmblocker. Damit befinden sie sich diesmal wenigstens in guter Gesellschaft: Ebenfalls lästig geworden ist das gleichaltrige Kulturmagazin „Journal in 3“.

Daß sie plötzlich als altmodisch eingestuft werden, verwundert die „Zeitpunkte“-Frauen: „Komisch“, sagen sie, „im Frühjahr stand Matejka noch mit einer Flasche Sekt vor der Tür, weil wir vergleichsweise hohe Einschaltquoten haben und auch jüngere HörerInnen auf die Kulturwelle ziehen.“ Heute sieht der Wellenchef das offenbar ganz anders. „Das Outfit der ,Zeitpunkte‘ ist unverkennbar das von vor 15 Jahren“, so seine aktuelle Einschätzung. Näher begründen kann Matejka diese Aussage leider nicht mehr. Ein bereits vereinbartes Interview läßt er kurzfristig durch seine Sekretärin absagen. Man wolle sich erst im Oktober wieder zu den Plänen der Programmdirektion äußern. Bis dahin möge die Presse mit einem Antwortschreiben des Programmdirektors auf einen offenen Brief des Redakteursausschusses vorliebnehmen.

Dieser kurze Briefwechsel offenbart eine bemerkenswerte Diskrepanz in der Wahrnehmung des Konfliktes. Während der Redakteursausschuß noch von einer „einsamen Entscheidung“ des Wellenchefs spricht und moniert, daß mit den Betroffenen vorher nicht gesprochen, „geschweige denn eine Programmkritik geübt“ worden sei, betont Wendland die allgemeine Bereitschaft zur Kooperation: „Die Redaktionen von ,Zeitpunkte‘ und ,Journal in 3‘ haben ihre Bereitschaft zur Veränderung immer wieder betont, so auch zuletzt in einem Gespräch mit dem Wellenchef und mir am 16.8.94.“

Während dieses Gespräches der eigenen Selbstauflösung zugestimmt zu haben, können sich allerdings beide Redaktionen beim besten Willen nicht erinnern. Vor allem die „Zeitpunkte“ wehren sich dagegen, in kleinen Häppchen über das Tagesprogramm verstreut zu werden. „Was dann passiert“, so ihre Befürchtung, „kennen wir doch: Das ist dann dasselbe wie bei der taz – wenn der feste Platz erst mal weg ist, geht die Frauenberichterstattung den Bach runter.“

Anachronismus im Reich der kleinen Worthappen

Natürlich ist die Sendung im Zeitalter der möglichst akzentlosen Geräuschteppiche und kleinen Worthappen ein Anachronismus. Keine Programmuhr schneidet die Sendestunde in verbindliche Wort/ Musik-Einheiten, die Platten sind nicht computerprogrammiert, sondern handverlesen, über die Länge der Beiträge und Studiogespräche entscheidet nicht zuletzt deren inhaltliche Qualität. Da kann ein Studiogespräch auch ruhig einmal eine Viertelstunde dauern. „Komm, laß uns die Musik einfach kürzer machen, das ist gerade so spannend“ – eine Entscheidung, wie sie in den meisten Hörfunkredaktionen heutzutage völlig undenkbar ist, die von den „Zeitpunkte“-Redakteurinnen jedoch in schöner Regelmäßigkeit gefällt wird. Mit dieser Freiheit dürfte es nach der Programmreform wohl ein Ende haben. Dann bestimmen andere das Design der einzelnen Stunden.

Auch thematisch rechnen die „Zeitpunkte“-Frauen mit Bevormundungen und Spurverengungen. „Da kommen auf SFB2 dann die Themen zwischen Arsch und Titten, auf SFB3 die schöne Frauenkultur, und die sozialen Themen fallen den Bach runter“, lautet die Zukunftsprognose der Hörfunkerinnen. Daß sie dann, auch jenseits der „klassischen“ Frauenberichterstattung, eigene Akzente setzen können, wird derzeit bezweifelt. Akzente, wie etwa der Golfkrieg- Kommentar vom 21. Januar 91, der bereits am fünften Kriegstag die Absurdität des allabendlichen Fernsehspektakels auf den Punkt gebracht hat: „Im ganzen Land, so hat es den Anschein, leben nur zwei Menschen: Saddam Hussein, der irakische Diktator, und Peter Arnett, der amerikanische Reporter.“ Derartige Anmerkungen zur „großen Politik“ dürften die Frauen wohl jenseits einer eigenen Sendung kaum unterbringen können.

Die Alltagsrealität immer im Blick

Grundlage einer solchen Sichtweise ist die enge Anbindung der Frauen an die Alltagsrealität, ist die permanente, teilweise sehr pragmatische Vergegenwärtigung von Konsequenzen. „Wenn wir politische Entscheidungen oder Gesetzesänderungen betrachten, versuchen wir immer herauszuarbeiten, inwieweit sich diese ganz konkret auf den Alltag einzelner auswirken“, sagt eine der Mitarbeiterinnen. Die treuen HörerInnen wissen das zu schätzen. „Da hört man Sachen, die man woanders nicht hört. Da wird einem dann manches klarer gemacht. Zum Beispiel die Situation der Frauen in Jugoslawien. Oder damals, nach dem Anschlag in Solingen. Da wurde die Frage gestellt: Was, wenn das mein Sohn wäre? Das ist mir so unter die Haut gegangen“, erzählt Monika Jeremias. Auch von KollegInnenseite gibt es vor allem Lob. So titelte etwa Jens Brüning von der Süddeutschen Zeitung zum fünfzehnjährigen Jubiläum der „Zeitpunkte“: „Oase in der Radio-Wüstenei“. Und sein Kollege vom Tagesspiegel schrieb bereits anläßlich der letzten „Zeitpunkte“-Krise im März 1990: „Vielleicht ist nicht nur die Hörfunkstruktur reformbedürftig, sondern auch die Denkstruktur mancher Führungspersönlichkeiten.“ Eine Kritik, der Renate Finger, die den „Zeitpunkten“ „von Anfang an hinterhergeschaltet“ hat, nur zustimmen kann. Ihre einzige Frage: „An wen muß ich das Protestschreiben diesmal schicken?“

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