Taslima Nasrin: „Ich danke Euch“

■ Ein Brief aus dem Exil: Die aus Bangladesch geflohene Schriftstellerin und Feministin schreibt an ihre Unterstützer und warnt vor der wachsenden Stärke der Fundamentalisten in ihrem Land

Liebe Autorinnen und Autoren,

ich bin nur eine unbedeutende Schriftstellerin aus einem kleinen Land. Trotzdem haben Sie zur Feder gegriffen, um mich aus den Klauen des Obskurantismus zu befreien. Ich allein kann die Bedeutung dieser Geste ermessen. Dafür bin ich Ihnen unendlich dankbar.

Es gibt auf dieser Welt doch noch Menschen, die offen, gerecht und vernünftig denken. Ich konnte in diese Welt des Lichtes zurückkehren, nach einem Aufenthalt in einem verschlossenen Raum, in dem man nichts sehen und nicht wirklich atmen konnte. Und es gibt noch immer Menschen, die fähig sind, sich gegen großes Unrecht zu erheben. Ich bin stolz darauf, daß ich ihnen nahekommen konnte. Denn alle Gerechten gehören zu einer Familie. Liebe Kollegen und Kolleginnen, ich denke an Sie in der gleichen Weise, wie ich an meine Eltern denke, an diejenigen, die mir am nächsten stehen.

Bangladesch mag ein kleines Land sein, doch es sind zweihundert Millionen Menschen, die bengalisch sprechen. Unsere mehr als tausend Jahre alte Literatur verweist stolz auf ihre reiche Tradition. Die Bengalen sind die einzigen, die sich bis zum Martyrium für ihre Sprache aufgeopfert haben. 1971, im Verlauf eines blutigen Krieges, kämpfte das bengalische Volk für die Schaffung eines souveränen, bengalischen Staates, der sich nicht auf Religion, sondern auf Sprache und Kultur gründen sollte. Doch die Anführer der demokratischen Bewegungen und die Laizisten im Land wurden gnadenlos niedergeschossen. Die kulturelle Elite der jungen Nation wurde während eines organisierten Massakers von fundamentalistischen Mördern ausgelöscht. Diese Killer von gestern sind seitdem rehabilitiert worden und bekleiden jetzt respektable Posten innerhalb und außerhalb der Regierung. Heute hat eine düstere, fremde Macht ihre riesigen Tentakel über eine Nation gebreitet, die doch das Licht wollte.

Wie sollte man nicht bedauern, daß ein Land – gegründet auf den vier Säulen Sozialismus, Demokratie, Laizismus und Nationalismus – plötzlich das laizistische Prinzip aus seiner Verfassung verbannte? Ganz heimlich ist eine Verschwörung entstanden, die diese Nation in einen islamischen Staat verwandeln will. Unsere Militärregime haben von Anfang an in diesem Sinne intrigiert.

Die gegenwärtige Regierung, die auf das Erbe ihrer Vorgänger aufbaut, lenkt das Land mit Hilfe dieser so „beschnittenen“ Verfassung. Wir wissen aus Erfahrung, daß die Bengalen aufbegehren können, aber heute ist der Geist des Befreiungskriegs mürbe geworden, sie revoltieren nicht mehr wie noch 1971. Im Gegenteil: Die Fundamentalisten werden immer mehr, ihre Stimmen schwellen zu einem Crescendo an, sie werden stärker, gehen auf die Straße und nehmen von ihr Besitz.

Von jetzt an werden sie sich als die Herren des Landes bewegen, sie werden Versammlungen abhalten, Aufmärsche und Demonstrationen organisieren. Sie können lauthals Köpfe fordern und unglaublichen Lärm machen – was ihnen kurz nach der Unabhängigkeit noch völlig unmöglich gewesen wäre, als sie noch in ihren Löchern steckten ... Jetzt sind sie herausgekommen. Jede mutige Stimme, die sich gegen den Obskurantismus und die Blindheit erhebt, wird von den vergifteten Händen der Fundamentalisten erstickt. Sie haben einmal gedroht, eine Million Giftschlangen in die Straßen von Dhaka zu werfen. Ich sehe nicht den geringsten Unterschied zwischen ihnen und diesen Reptilien.

Zwei Monate lang hatte ich nach und nach jede Lebenshoffnung verloren. Im ganzen Land organisierte man Generalstreiks und forderte, mich aufzuhängen; Hunderttausende bezogen Stellung in den Straßen, organisierten lange Demonstrationszüge, hielten gigantische Versammlungen ab, setzten Killerkommandos auf mich an und boten immer höher werdende Kopfgelder; sie schworen, mich mit allen Mitteln zu beseitigen. Menschen, die in unserem Land als fortschrittlich gelten, hatten Angst davor, mich zu unterstützen; die politischen Parteien verbreiteten eine um die andere Erklärung gegen mich – und hofften, sich so ihre Wiederwahl zu sichern.

Und in diesem Augenblick sind Sie gekommen und haben mir Ihre Unterstützung gewährt. Ich bin ein ganz normaler Mensch. Mein Leben ist nicht besonders viel wert. Mein Tod wäre nicht das Ende der Welt, aber ich habe nie aufgehört, mich darum zu sorgen – was ich noch immer tue –, daß eine Nation, in der so viel steckt, einmal auf diese Weise enden könnte! Wären die Fundamentalisten zufrieden, wenn sie mich getötet hätten? Nein. Sie würden alle fortschrittlich und laizistisch Denkenden ermorden, einen nach dem anderen. Wenn wir sie nicht sofort aufhalten, werden wir bald sehen, was von diesem Land übrigbleibt.

Sie wollen ein Gesetz gegen die Blasphemie einführen. Wenn dieses widerliche Gesetz durchkommt, wird unsere Kreativität unfruchtbar, wird es den Bankrott unserer Kunst und Literatur bedeuten. Die Fundamentalisten brennen darauf, Bangladesch in einen mittelalterlichen Obskurantismus zurückzutreiben. Ich, Sie und alle Menschen guten Willens dieser Welt haben die Verantwortung, mein Land aus den Klauen dieser Mörder zu retten. Wenn zwischen der Feder und dem Schwert, zwischen den Kräften des Lichts und denen der Finsternis ein tödlicher Krieg erklärt wird, ist die Einheit aller vernünftigen Menschen, vor allem der Schriftsteller und Künstler, unendlich kostbar. Dieser Einheit schulde ich mein Leben – Schriftsteller aus zahlreichen Ländern haben sich gemeinsam bemüht, mir eine Lebenschance zu geben.

Sie, die großen Schriftsteller, Sie alle gehören keinem bestimmten Land oder keiner bestimmten Epoche an, denke ich, sondern Sie sind in allen Ländern und allen Zeiten zu Hause. In Ihre Hände, jene großzügigen Hände, die Sie dem Gesetz, der Gerechtigkeit und der Vernunft gereicht haben, lege ich die meinen.

Mit all meiner Liebe

Taslima Nasrin

Übersetzung aus dem Französischen: taz