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Tagebuch eines Mitläufers

■ Ein "Nachdenkfilm" über einen deutschen Amtskommissar im besetzten Polen

Den Galgen mochte er gar nicht ansehen, und bei den „gräßlichen Mordsekunden“ wandte er sich ab. Doch der deutsche „Amtskommissar“, der von der Besatzungsmacht eingesetzte Bürgermeister im polnischen Poddembice war ein pflichtbewußter Mann. Und da er mit der Errichtung eines Galgens für die öffentliche Hinrichtung von sechs Juden im März 1942 beauftragt wurde, erkundigte er sich trotz aller Abscheu: „Ist wenigstens alles in Ordnung an dem Ding?“

Der Dokumentarfilmer Hans- Dieter Grabe, der sich in den letzten 30 Jahren mit eindringlichen Porträts einen Namen gemacht hat, stellt diesen widersprüchlichen Menschen in einem kargen „Nachdenkfilm“ (Grabe) vor. 17 Monate lang war „Hohenstein“ Amtskommissar, bis er im Mai 1942 wieder abberufen wurde, weil er den polnischen Einwohnern „nicht mit der nötigen Strenge gegenübertrat“. Bis dahin mußte er das zunehmend brutaler werdende Auftreten seiner deutschen Volksgenossen mitansehen. Es grauste ihn zwar, doch zumeist schaute er weg.

Der Film „Er nannte sich Hohenstein“ verweigert sich konsequent allen neumodischen Sehgewohnheiten: 89 Minuten lang läßt Grabe aus dem 1961 veröffentlichten „Wartheländischen Tagebuch“ des Amtskommissars vorlesen und unterlegt dieses Hör-Stück fast ausschließlich mit Bildern aus dem heutigen Poddembice. Keine Musik, keine zusätzlichen Kommentare oder Interviews mit Zeitzeugen sollen die Reflektion der Zuschauer über den widersprüchlichen Menschen Hohenstein stören. Nur einige Fotos und die mit einer 8-mm-Kamera gedrehten Originalaufnahmen des Amtskommissars unterstreichen die Authentizität der Tagebuchzitate.

Daß Grabe diese karge Form gewählt hat, entspricht zum einen seinem Stil, war zum anderen aber auch durch die Umstände erzwungen. Denn die Erben des Amtskommissars wollten den Film verhindern und verweigerten die Herausgabe weiteren Materials. Auch das Geheimnis um den wirklichen Namen des im Entnazifizierungsverfahren als „Mitläufer“ eingestuften Mannes darf Grabe nicht lüften; also bleibt es bei den Pseudonymen, die Hohenstein selbst gewählt hatte. Durch eigene Recherchen habe er immerhin Angaben des nach dem Krieg geschriebenen Tagebuchs erhärten können, sagt der 56jährige ZDF-Redakteur.

Doch „Hohenstein“ ist nicht nur ein Beispiel für herausragendes Dokumentarfilmhandwerk, er stellt zugleich auch einen weiteren Abgesang auf das Genre im öffentlich-rechtlichen Fernsehen dar. „Eine meiner Vorlieben galt dem langen Dokumentarfilm“, sagte ZDF-Fernsehspielredakteurin Ingeborg Janiczek. Unter ihrer Betreuung entstanden preisgekrönte Stücke wie „Der Indianer“ und „Nachruf auf eine Bestie“. Doch angesichts der geplanten Sparmaßnahmen beim ZDF hat Ingeborg Janiczek der Frust gepackt. „Eigentlich sollte man den Dokumentarfilm pflegen, aber das sehe ich im Moment nicht.“ Im nächsten Jahr stehen der Fernsehspielredaktion 12 Millionen Mark weniger zur Verfügung. 20 von 70 Sendeplätzen wurden gestrichen. Unter diesen Bedingungen werden anspruchsvolle Dokumentationen wie „Hohenstein“ für das Große Fernsehspiel in Zukunft unwahrscheinlich. „Die Chancen sind sehr gering“, sagt Redakteurin Ingeborg Janiczek resigniert. Den Mainzern bleibt nun allein das Kleine Fernsehspiel – und auch dem geht es nicht besonders gut. Thomas Gehringer

„Er nannte sich Hohenstein“, heute, 22.45 Uhr, ZDF

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