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■ Die Parabel vom Kronzeugen Siegfried N.Apropos Verbrechensbekämpfung

1991 outete sich der Kronzeuge Siegfried N. als Mordhelfer im Falle des Bankiers Alfred Herrhausen. Er schilderte seine eigene Rolle, nannte die Namen von Leuten, die außerdem beteiligt gewesen sein sollen, und berichtete über deren Tatbeiträge. Dinge, die geeignet gewesen wären, (Mit-)Täter dingfest zu machen und der Strafverfolgung zuzuführen, vermochte er nicht mitzuteilen. Von einem der größten Erfolge in der Dauerschlacht gegen die RAF sprach der damalige hessische Innenminister. Und der damalige Generalbundesanwalt von Stahl faselte von einer erfolgreichen Staatsaktion zum Schutze der Republik vor ihren Feinden.

Danach behauptete der gefeierte Kronzeuge plötzlich, seine Aussagen seien allesamt erstunken und erlogen; sie seien ihm von zwei Beamten des hessischen Verfassungsschutzes abgepreßt worden. Da beschloß der Generalbundesanwalt die Wahrheitsliebe seines neuen Stars einer gutachterlichen Überprüfung zuzuführen. Es wurden Ermittlungsverfahren gegen die belasteten Verfassungsschützer eingeleitet.

Jetzt kam wieder Bewegung in die Sache. Zuerst ersuchte der (neue) Generalbundesanwalt den zuständigen Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof um die Erlaubnis, den Kronzeugen als Kronzeugen zu behandeln und vor Strafe zu bewahren. Der Ermittlungsrichter lehnte ab, weil er hinlängliche Verdienste des Kronzeugen um die Aufklärung des Mordfalls nicht erkennen konnte. So erhob der Generalbundeswalt Anklage gegen seinen Schützling beim Oberlandesgericht Frankfurt. Die Richter des Oberlandesgerichtes hatten offenbar auch wenig Lust auf einen Prozeß gegen den Kronzeugen und baten bei der Verteidigung und Anklage händeringend um Anregungen, wie der Angeklagte als Kronzeuge am besten vom Eis geholt werden könne. Versteht sich, daß der Angeklagte unter großem Beifall des Generalbundesanwaltes und folglich erfolgreich darum bat, ihm die abschließende Ehre eines Kronzeugen zu erweisen. Das Verfahren wurde eingestellt und allen Beteiligten das Licht der Öffentlichkeit erspart. Anschließend war der Angeklagte noch so frei zu erklären, daß er als Kronzeuge nicht zur Verfügung stehe, weil er beim Widerruf bleibe.

Und die Moral von der Geschichte? Der Generalbundesanwalt hat seinen Mann erfolgreich gegen den Eindruck verteidigt, im günstigsten Fall nicht mehr zu sein als ein verwirrtes Opfer schwieriger Verhältnisse. Mit dem beharrlichen Hinweis, man habe es bei ihm mit einem veritablen, weil glaubhaften Mordbuben zu tun, hat er ihn vor Strafe bewahrt. Das Mordopfer ist tot, der einzige, der bei den Strafverfolgern als Mordhelfer und/oder Mittäter geführt wird, unbehelligt und alles übrige im dunkeln.

Übrigens: Im Bundestag haben sich SPD und CDU derweil auf eine weitgehende und strafrechtliche Extensivierung der Kronzeugenregelung im sogenannten Verbrechensbekämpfungsgesetz geeinigt. Rupert von Plottnitz

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