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Schneeberger Lungenkrankheit

Jährlich mehrere tausend Lungenkrebstote durch Radonbelastung in Wohnungen  ■ Von Thomas de Padova

In Schneeberg hat der Bergbau eine lange Geschichte. Zinn, Silber, Kobalt und Nickel baute man hier bereits im 16. Jahrhundert ab. Zur gleichen Zeit berichtet auch der Landarzt Georg Agricola zum ersten Mal von einer häufigen Lungenkrankheit bei den Bergarbeitern. „Schneeberger Lungenkrankheit“ wurde sie in der Folgezeit genannt. Und noch Ende des letzten Jahrhunderts fielen ihr die meisten Grubenarbeiter von Joachimstal-Schneeberg zum Opfer. Die Ursachen dieser Erkrankung entdeckte man erst Mitte der 50er Jahre dieses Jahrhunderts: radioaktive Strahlung, bedingt durch die Einatmung des Radons und seiner Folgeprodukte.

Heute weiß man, daß Strahlenbelastung durch Radon ein globales Problem für die Bevölkerung darstellt. Das radioaktive Edelgas Radon findet sich nicht nur in Bergwerksstollen, sondern in zum Teil sehr hohen Konzentrationen auch in Wohnhäusern. Es dringt aus dem Boden durch Spalten und Risse in die Gebäude ein. Seine ebenfalls radioaktiven und chemisch sehr reaktionsfreudigen Zerfallsprodukte lagern sich an Schwebeteilchen in der staubigen Hausluft und an freien Oberflächen an. Aufgrund dieser Anreicherung liegt die Radonkonzentration in Gebäuden durchschnittlich etwa viermal höher als im Freien, in manchen Wohnungen auch mehr als einige hundertmal darüber. In erster Linie betroffen hiervon sind Gegenden mit stark radium- und uranerzhaltigem Untergrund wie beispielsweise das Erz- und Fichtelgebirge, insbesondere die ehemaligen Bergbauregionen Sachsens und Thüringens.

In der jüngsten Radon-Empfehlung der Strahlenschutzkommission (SSK) sind Angaben, die der Bevölkerung eine Vorstellung von der Gefährlichkeit des Radons geben könnten, nicht zu finden. Es „ist davon auszugehen, daß Radon mit seinen Zerfallsprodukten auch in Wohnungen zur Lungenkrebsrate beiträgt“, heißt es statt dessen in der Veröffentlichung. Das Resultat von zwei Jahrzehnten wissenschaftlicher Untersuchungen: Ungewißheit? Verharmlosung?

Bei der Untersuchung von etwa 30.000 Bergarbeitern wurde bei einer langfristigen Radonbelastung von umgerechnet 200 Becquerel pro Kubikmeter – das sind entsprechend 200 radioaktive Zerfälle – „eine statistisch signifikante Erhöhung der Lungenkrebsinzidenz beobachtet“, gab das SSK 1992 bekannt. In ihrer neuesten Empfehlung hingegen halten die staatlichen Strahlenschützer Radonkonzentrationen bis 250 Becquerel pro Kubikmeter für unbedenklich. Der „Sanierungsbereich, in dem die Radonkonzentration reduziert werden sollte“, beginnt für die SSK sogar erst bei 1.000 Becquerel, einem Wert, der weit hinter den Empfehlungen anderer nationaler und internationaler Gremien zurückbleibt. „Bei diesem Wert“, so der Ex-Vorsitzende der SSK und Strahlenbiologe an der Universität München, Albrecht Kellerer, in einem Interview der SZ, „stirbt etwa einer von sieben Männern an Lungenkrebs, während in der Normalbevölkerung bei einem von fünfzehn so ein Tumor die Todesursache ist“. Für Kellerer ist es unverantwortlich, wenn Menschen bei einer Strahlenbelastung von einigen tausend Becquerel weiter in diesen Wohnungen leben.

„Wirft man einen Blick in die skandinavischen Länder, so mutet die Bundesrepublik Deutschland geradezu als Strahlenschutzentwicklungsland an“, urteilt der umweltpolitische Sprecher der SPD- Bundestagsfraktion, Michael Müller, über die Radon-Empfehlung des SSK. In Schweden wurde schon 1980 ein gesetzlicher Grenzwert für die Radonkonzentration in Häusern festgesetzt. Für bereits bestehende Gebäude liegt er bei 400 und für Neubauten bei 140 Becquerel pro Kubikmeter. Die Erfahrungen dort haben gezeigt, daß landesweit eine Halbierung der durchschnittlichen Radonkonzentration durch radongeschütztes Bauen, einfache Gegenmaßnahmen wie zum Beispiel Abdichten der Fundamente und verbesserte Lüftung erreicht werden kann.

Hierzulande wird die Einführung gesetzlicher Grenzwerte nicht für notwendig erachtet. Doch statt die Bevölkerung in verantwortungsvoller Weise aufzuklären, werden die mit niedrigen Strahlendosen verbundenen Gesundheitsrisiken totgeschwiegen oder notfalls mit sogenannten Reduktionsfaktoren heruntergerechnet. Über internationale Forschungsergebnisse, die den Zusammenhang zwischen Radonbelastung in Häusern und dem Lungenkrebsrisiko eindeutig belegen, wie beispielsweise eine umfangreiche Studie schwedischer Epidemiologen, die Anfang dieses Jahres beschlossen wurde, sieht die SSK mit einem Randvermerk hinweg: „Muß noch geklärt werden.“

In den Granitgebieten des Erz- und Fichtelgebirges, wo die Radonkonzentration in 25 Prozent der Wohnungen über 1.000 Becquerel pro Kubikmeter liegt, zeigen sich die tödlichen Folgen untätigen Zusehens für viele Menschen erst nach Ablauf mehrerer Jahrzehnte. In der alten Bergbaustadt Schneeberg indessen gilt Krebs schon lange als Volkskrankheit Nummer eins. Hier erreicht die Radonbelastung im manchen Häusern Spitzenwerte zwischen 15.000 und 100.000 Becquerel pro Kubikmeter. Die Ursachen für diese extrem hohen Werte sind der stark radium- und uranerzhaltige Untergrund und ein oftmals schlechter baulicher Zustand der Wohnungen. Besonders hohe Konzentrationen wurden in den Häusern gemessen, die über ehemaligen Bergwerkschächten errichtet wurden. In ihnen steigt das Radongas wie in langen Kaminen auf und dringt mit erhöhtem Druck in die Wohnungen ein.

Projekte des Bundesumweltministeriums zur Sanierung einiger dieser Häuser sind immer noch im Gange. Die „Schneeberger Lungenkrankheit“ und der Tod mehrerer tausend Bewohner pro Jahr werden dadurch allein jedoch nicht beseitigt werden können.

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