: Moffe und zurück
UEFA-Pokal: Mit einem 0:0 beim PSV Eindhoven erreicht Leverkusen die 2. Runde ■ Aus Eindhoven Christoph Biermann
Auch eine Stunde nach Spielschluß war der letzte holländische Zorn nicht verraucht. Da reichte es nicht, kopfschüttelnd die zerkratzte Kofferraumhaube zur Kenntnis zu nehmen, ein energischer Sprung ins Auto war auch noch nötig. Denn aus dem Dunkel des Parkplatzes nahten blasse Rächer mit leerem Blick und finstren Absichten. „Scheiß-Moffen“, war die Parole, und ein satter Tritt in die Autotür illustrierte abschließend, daß es um das deutsch-holländische Verhältnis weiterhin trostlos bestellt ist. Besonders bei Fußballspielen toben sich die Nationalisten beider Seiten aus und pflegen seit langem eine dunkle Tradition, wie am Dienstag abend in Eindhoven nachdrücklich bewiesen wurde.
Die mitgereisten Anhänger im Fanblock von Bayer Leverkusen benahmen sich wie Kämpfer für die deutsche Sache in Feindesland und schoßen gleich zu Beginn des Spiels zwei Leuchtraketen auf die holländischen Zuschauer. Lautstark feierten sie „Deutschland“, ließen auch sonst keinen Zweifel an ihrer nationalen Gesinnung aufkommen („Wir sind deutsch“) und daran, was sie von ihrem Gastland hielten („Dreck, Dreck, Holland- Dreck“). Die holländischen Fans fühlten sich dadurch aufgefordert, nach dem Spiel zur Hetzjagd auf alles anzusetzen, was deutsch war. Auch vor Prominenz gab es kein Halten. ARD-Reporter Gerhard Delling kühlte nach einem Faustschlag seine Prellung mit einem Eisbeutel, während die Bayer- Spieler im belagerten Kabinentrakt auf ihre Abreise warteten. „Wir können nicht raus, weil da Hooligans lauern“, so Torwart Rüdiger Vollborn.
Die Umstände waren also deprimierend für die „reifste Leistung der Mannschaft, seit ich in Leverkusen bin“, wie Dragoslav Stepanovic glücklich jubelte. Tagelang hatte der Bayer-Trainer überlegt, wie er Ronaldo beikommen könnte, der beim 5:4-Sieg im Hinspiel seine Mannschaft in Angst und Schrecken versetzt hatte. Am Spieltag gab er dann Jens Melzig eine zweite Chance gegen den Brasilianer: „Der Melzig ist nämlich einer, der keinen Schiß hat.“ Es war aber nicht nur beeindruckend, wie Melzig gegen Ronaldo spielte, die gesamte Defensivarbeit der Leverkusener war konzentriert wie selten. Setzte sich ein PSV-Angreifer doch einmal gegen seinen Gegner durch, konnte er sicher sein, daß der nächste Leverkusener schon wartete. So gelang es Eindhoven in den gesamten 90 Minuten kein einziges Mal, die Abwehr der Gäste wirklich auszuspielen. Chancen gab es allein nach Freistößen oder durch einen Fernschuß.
Daß Tom Dooley als Libero mittun durfte, war übrigens erst nachmittags um halb fünf amtlich. Da war der amerikanische Pfälzer durch die Statuten der UEFA geschlüpft und fiel als „assimilierter Spieler“ nicht mehr unter die Ausländerregel. Wenige Minuten vor Anpfiff war er dann auch im Team angekommen, als Bernd Schuster sich endgültig für nicht spielfähig erklärte. Ohne Schuster kämpfte sich Bayer zum 0:0 und in die zweite Runde des UEFA-Pokals. „Halt jeder für jeden“, wie Ronaldo-Bezwinger Melzig lakonisch meinte.
„Mich freut es vor allem für den Verein“, sagte Torwart Vollborn, seit 13 Jahren in Diensten von Bayer. Wie groß in der Führungsetage die Angst vor einer Pleite wirklich war, gab der erleichterte Manager Calmund hinterher zu: „Ich kann mich noch genau an den 26. August erinnern. Da hatten wir 0:4 Punkte in der Bundesliga, dann wurden wir Eindhoven zugelost. Und ich kannte Ronaldo schon vorher. Da habe ich erst mal Herzrhythmusstörungen bekommen.“ In Leverkusen könne, so der Manager, nämlich nicht mehr aufgebaut werden: „In diesem Jahr müssen wir oben stehen.“ Und dann lobte er überschwenglich seine Profis, die vor dem Spiel nicht einmal nach einer Prämie gefragt hätten. „Darüber werde ich mit denen aber besser morgen sprechen, heute wäre ich zu großzügig.“
Leuchtende Augen, glänzende Gesichter überall bei Bayer, da konnte man auch die nationalistischen Auswüchse ums Stadion ausblenden. Immerhin hatte Dragoslav Stepanovic schon seine Lektion in Wirtschaftskonzentration genommen. Klopfte er vor der Pressekonferenz an sein Mikrofon und bemerkte: „Ha, ist Philips und funktioniert nicht.“ Als ein aufgeregter Helfer der Philips Sport-Vereinigung mit der Reparatur nicht vorankam, fragte er: „Soll ich Grundig bringen?“ Die Replik aus dem Zuschauerraum kam postwendend: „Das ist auch schon Philips!“
Bayer Leverkusen: Vollborn - Dooley - Melzig, Scholz, Wörns, Happe - Lehnhoff, Lupescu, Hapal, Sergio - Kirsten (77. Thom)
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