: Akademiker gegen Arbeiter
Fernando Henrique Cardoso gilt als sicherer Sieger der brasilianischen Präsidentschaftswahlen am kommenden Montag ■ Aus Rio de Janeiro Astrid Prange
Am deutschen Nationalfeiertag geht es für die Brasilianer um alles oder nichts. Die rund hundert Millionen Wahlberechtigten haben am Montag die Chance, die gesamte politische Klasse ihres Landes zu erneuern. Neben den Präsidentschaftswahlen müssen die Brasilianer (in Brasilien ist Wahlpflicht) 513 Volksvertreter und 81 Senatoren wählen. Gleichzeitig werden in den 27 Bundesländern Gouverneurs- und Landtagswahlen abgehalten.
Zwei Tage vor den allgemeinen Wahlen kämpft der Präsidentschaftskandidat der Arbeiterpartei (PT), Luis Inacio „Lula“ da Silva, darum, nicht im ersten Wahlgang aus dem Rennen auf den Regierungspalast auszuscheiden. Die jüngsten Meinungsumfragen sehen seinen Herausforderer Fernando Henrique Cardoso, den Kandidaten einer großen Koalition aus Sozialdemokraten und Konservativen, bei 47 Prozent der Stimmen. Lula steht mit 25 Prozent an zweiter Stelle, gibt sich aber zuversichtlich, „beim Endspurt das Ruder noch zu seinen Gunsten herumzureißen.“ Falls ihm das nicht gelingt, hat er vorgebaut: Er sei bereit, als Minister in eine Regierung Cardoso einzutreten, sagte Lula am Donnerstag.
Während Lula in der letzten Woche vor den Wahlen eine Massenkundgebung nach der anderen abhält, betrachtet Spitzenreiter Cardoso den Wahlkampf bereits als abgeschlossen. „Die Chancen, daß die Wahlen am 3. Oktober entschieden werden, liegen bei 75 Prozent“, erklärt Carlos Montenegro, Chef des Meinungsforschungsinstituts „Ibope“. Auch die Zeitschrift Veja setzt auf den Triumph des Soziologieprofessors: „Es gibt nur zwei Möglichkeiten, warum es am 15. November eine Stichwahl geben könnte: Entweder es passiert noch etwas Unvorhergesehenes, oder alle bisherigen Umfragen sind falsch.“
Der Präsidentschaftswahlkampf der noch bis vor kurzem politisch Verbündeten Cardoso und Lula spaltet die brasilianische Gesellschaft. Cardosos Ehefrau Ruth entfuhr unversehens, was viele Brasilianer denken: „Entweder Philosoph oder Klempner. Als Staatsoberhaupt bevorzuge ich eindeutig Sartre.“ Das freimütige Geständnis der 64jährigen Anthropologin brachte die in der brasilianischen Gesellschaft herrschenden Vorurteile gegenüber dem Drechsler aus ärmsten Verhältnissen auf den Punkt.
Lulas Antwort zeugt von der Erfahrung des Kandidaten im Umgang mit hartnäckigen Vorurteilen. Sicherlich habe Frau Professorin Ruth Cardoso in ihrem Leben schön öfter einen Klempner gebraucht als einen Philosophen, stichelte er. Auf dem Podium versucht er, die Vorbehalte gegenüber seiner lückenhaften Schulbildung zu seinen Gunsten auszuschlachten: „Alle Vorurteile gegen mich sind gleichzeitig Vorurteile gegen die Armen. Fernando Henriques Bündnispartner haben das Elend verursacht, sie sind seit dreißig Jahren an der Macht“, wettert er.
Die Rentnerin Creuza Calvacante Nunes aus Rio de Janeiro hat Fernando Henrique Cardoso längst als Kopie des korrupten Ex- Präsidenten Fernando Collor entlarvt. „Ich weiß nicht, wo diese Reais (neue brasilianische Währung; die Red.) sein sollen, in meinem Portemonnaie jedenfalls nicht“, schimpft sie auf die Währungsreform, die Fernando Henrique Cardoso noch als Finanzminister in die Wege leitete. „Dieses Jahr wähle ich Lula. Ich habe die Faxen dicke“, meint die 61jährige.
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