■ Normalzeit
: Harald Juhnke goes Enver Hodscha

Obwohl das „Ku'damm-Karree“ schon 1968 gebaut wurde – von Sigrid Kreßmann-Zschach, die gerne wichtigen Politikern was Schönes schenkte, zum Beispiel vergoldete Kühlschränke für ihre Kellerbars –, kam ich erst kürzlich dazu, dieses „Mallorca für Flugängstliche“ zu besichtigen, das heißt, eigentlich suchte ich nur eine Toilette, und dabei geriet ich aufgrund einer temporären Piktogramm-Leseschwäche ins Damenklo. Das merkte ich aber erst an den merkwürdigen Sprüchen an der Wand: „Ich hab' echt nichts gegen Ausländer, aber laßt euch bloß nicht mit Albanern ein, sonst seid ihr tot. Wir sprechen aus Erfahrung.“ An anderer Stelle stand der eher entwarnende Hinweis: „Albaner sind süß.“

Ein noch flüchtiges Nosing- around zwischen den etwa dreißig Kneipen im Karree ergab, daß es mehrheitlich von westdeutschen Kurztouristen besucht wird, zu deren Berlin-Höhepunkt ein Ku'damm-Bummel gehört. Die Bekleidung der meist mehrsprachigen Karree-Bardamen signalisiert lean production in progress: „Sie wird seit der Wende, mit dem zunehmenden wirtschaftlichen Druck, immer knapper“, wird mir von einem „Stammgast“ versichert. „Wenn es in Berlin zur Oben-ohne-Bedienung kommt, dann zuerst hier!“

Erst einmal ist aber wohl heimliches Hosenrunterlassen angesagt – und zwar für den Berufsberliner, der hier sozusagen die Musik macht (nicht zufällig hat sich einer der vielen Muntermacher-Sender im Karree niedergelassen). Die Berufsberliner, das sind zum Beispiel welche, die ins Kempinski gehen, sooft es ihnen pekuniär paßt, zum „Fitneß-Vergnügen“ notfalls, aber eigentlich immer auf der Suche nach einem Geschäftsgespräch. Gerne machen sie auch kleine „Deals“ mit einem der Karree-Kneipiers – unter Brüdern, versteht sich. Oder sie wechseln überhaupt die Seite: „Irgendwann muß sich jeder entscheiden, ob er vor oder hinter der Theke stehen will“ (Alte Karree-Weisheit).

Eine der zwei Boulevardbühnen vorne wucherwirtschaftet noch mit der Originalausstattung aus den zwanziger Jahren. Nebendran, im früheren Forum- Theater, spielten sie bis zum bitteren Ende allabendlich die „Publikumsbeschimpfung“ von Handke – für avantgardistisch- amüsierentschlossene Frontstadtbesucher. Die Schauspieler pflegten vor der Vorführung an den unterschiedlichsten Theken laut über ihr scheußliches Schicksal zu lamentieren: „Noch fünf Stunden und zwanzig Minuten, dann geht das stumpfsinnige Schimpfen für diese depperten Berlinbesucher wieder los!“ Spätestens seitdem Avantgarde- Magnet Robert Wilson am Lehniner Platz gastiert, gehören den Günter Pfitzmännern und ihren Fans beide Theater im Karree, das so quasi wie eine Bülowbogen-Praxis für wiedervereinigungsgeschädigte Berufsberliner wirkt: „Wir sind eher ein Kaufhaus des Ostens“, gesteht die Hausverwaltung des 1990 privatisierten Objekts und will damit das seitdem gesunkene Ambiente entschuldigen.

Es stimmt zwar, daß nach wie vor noch jede Menge Ex-DDR- Bürger zum Ku'damm-mit-Karree-Besuch aufbrechen – von den ersten Wochen nach der Maueröffnung haben sich manche Sicherheitskräfte noch immer nicht erholt –, aber mit „Kaufhaus des Ostens“ ist eher der mehr oder weniger gescheiterte Rest der Westberliner Karree-Stammgäste gemeint, der gerade nicht zielstrebig-glücksrittermäßig auf Nimmerwiedersehen in den Osten aufgebrochen ist. Jene sympathischen Verlierer also, die – wie etwa Rocco im Erdgeschoß – Poster von Hopper-Gemälden mit eingebauten kleinen Neonröhren verkaufen. Roccos größter Wunsch ist es, mit einer Idee zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit bis in den RTL-Lokalsender vorzustoßen: Er will die bedauernswerten Kids mit einem Arbeitsamtszuschuß anlernen, ähnlichen Wandschmuck herzustellen und zu verkaufen, wie er ihn selbst anbietet. „Billig und reich müssen, wie hier im Karree, immer zusammenbleiben“, meint er.

Ein echter „Überzeugungstäter“ also, so einer, wie ihn Stolpe gerade für das „Drehkreuz Europas“ sucht. Unser Brandenburg- Theologe denkt dabei jedoch eher an Edzard Reuter, der seinerseits mehr den Drehstern auf dem Europa-Center im Blick hat. Dieses Objekt ... das ist nun wieder eine ganz andere Geschichte. Helmut Höge

Wird fortgesetzt