■ Filmstarts à la carte: Verwicklungen am Nachmittag
Aktuelles und Verschiedenes: Zunächst ist es ja wohl, gerade in diesen herbstlichen Tagen, wo man noch nachdenklich den Kopf wiegt, wo die Wahl gar nicht mal so ein GAU war, wo in der Luft liegt, daß tatsächlich wieder eine Art Opposition entstehen könnte (im Deutschen Bundestag, meine ich) – in diesen Tagen also ist es nur recht und billig, an Zwanzig Jahre Anti-AKW zu erinnern, wie es das Stattkino nun tut.
Ein gewisses Pathos, etwas Wackeres sticht plötzlich, in den leisen Neunzigern, schon aus den bloßen Filmtiteln ins Auge, und irgendwie ist das nicht mal unsympathisch: Restrisiko oder Die Arroganz der Macht heißt da ein Dokfilm über die 800.000, die schriftlich gegen Wackersdorf Einwände geltend gemacht hatten und die dann in eine Bierhalle des Dorfes Neunburg vorm Wald geladen worden waren. Radio Dreyeckland oder Wir bitten nicht länger um Erlaubnis spricht wohl für sich, und Das achte Gebot erinnert daran, daß viele sich damals auch als Christen outeten.
Heinz Emigholz behauptet zwar, der in seiner Arsenal-Filmreihe vorgestellte One Plus One von Godard sei der einzige Höhepunkt des Genres „Pop und Politik“ (was ist mit „Die wilden Tiere von Ebrach“ oder „Die Detektive“ oder „Bad“?) geblieben, aber sonst hat er mit seiner Auswahl wunderbar recht: George Kuchar, ein Bronx-Sprößling mit einem Hang zum Super-8-Melodram auf dem Großstadtdach, ist mit zwei Filmen vertreten; der Frau, die so irritiert aus dem Fenster schauen und dabei das Filmmaterial biegen und brechen konnte, Maya Deren, ist ein ganzer Abend mit ihren wichtigsten Filmen (Meshes of the Afternoon, At Land, Ritual in Transfigured Time etc.) gewidmet (der 15.11.).
Meiner Meinung nach heißt Ken Jacobs Film Little Stabs at Happiness und nicht „of“, aber sehen muß man ihn dennoch, und über Ernie Gehr haben wir hoffentlich mindestens ein Füllhorn ausgeschüttet, als er hier Side Walk Shuttle zeigte, eine Serenade für Heimatlose und solche, die es werden wollen, exerziert an einem gläsernen Außenwandfahrstuhl unter blauem Himmel in San Francisco.
Noch bevor Gianni Amelios Film LAmerica in die Kinos kommt, veranstaltet das Acud- Kino „Albanische Filmtage“, zum Beispiel Tana (1958), in dem die Protagonisten in ungeschütztem Enthusiasmus über den sozialistischen Aufbau ihres Landes reden, dessen Zusammenbruch man dann bei Amelio oder eben in Filmen wie Nekrologji – Grabgesang sehen kann.
Das Tschechische Zentrum wiederum widmet sich in einer Reihe den Filmen von Karel Plicka, der fast alles erlebt hat, weil er noch im letzten Jahrhundert in Wien geboren, in Prag aufgewachsen ist und dann aber in Bratislava studiert hat. Es heißt, daß sein Blick Fotomotive geprägt hat. Beispiele sind im Foyer zu sehen. Die Sache mit der Liebe zum einfachen Menschen ist ihm in seinen in der Slowakei entstandenen Dokumentarfilmen dabei manchmal etwas burschikos geraten.
Das Problem mit Gus van Sants Seventies-Hommage Even Cowgirls get the Blues ist nicht Uma Thurman, die sich bei gewissen Herrn von gewissen Stadtmagazinen ja außerordentlicher Beliebtheit erfreut. Es sind auch nicht ihre phallischen Daumen, mit denen sie Autos dirigieren kann wie ein Flugfeldtechniker seine Boeing. Auch der barocke Seventies Talk, das poppige Lesbentum und so weiter stören nicht. Die Sache fährt bloß leider in alle vier Himmelsrichtungen auseinander. Wer das mag, soll sein Schillom nehmen und den Tag einen Freund sein lassen.
Moviemento: 20. bis 26.10. mn
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