piwik no script img

Täglich wächst die Liebe

■ Leibesübungen, jugendkompatibel: Die neue Pubertäts-Gazette "Bravo Sport"

Für schöne Zähne trägt Martina Hingis seit kurzem eine Spange. Die Lieblingsfächer des 14jährigen Schweizer Tennisprofis sind Deutsch und Mathe. Wenn Martina etwas zu „gestehen“ hat, dann, daß sie „auch gerne MTV und Filme mit Kevin Costner“ ansieht. Am liebsten ist sie aber mit ihrem dunkelbraunen Wallach Schubidu zusammen.

Kaum hätte man solches je erfahren, wenn es nicht seit ein paar Tagen ein buntes Periodikum namens Bravo Sport gäbe. Ist da etwa ein Markt bisher schnöde übersehen worden? Kann man Sport so aufbereiten, daß Teenies alle zwei Wochen 3,30 Mark dafür opfern? Klar kann man, glauben der Bauer-Verlag und die Münchner Macher des seit 1956 die deutsche Jugend in das Leben einführenden Mutterblattes Bravo. Zur letzten Fußball-WM im Juni hatte man einen Versuch gemacht und, wie der stellvertretende Chefredakteur Peter Raschner dem Züricher Sport anvertraut hat, „während sechs Wochen über 400.000 Exemplare verkauft – ohne Werbung“.

Nach diesem „Bombenerfolg“ (Raschner) droht man nun, die Jugend regelmäßig mit Hintergrundgeschichten über Sportler zu versorgen. Die werden der Einfachheit halber und Bravo-kompatibel „Stars“ genannt oder auch gleich „Idole“, und man kann in Bravo Sport jede Menge über sie erfahren. Etwa über Bäckermeister Jürgen Klinsmann, der schon das Cover der Nullnummer schmückte und jetzt wieder herhalten muß: Idol Jürgen bietet uneingebildet selbst Bravo Sport-Reporterin Gabrielle „wie selbstverständlich sofort das Du“ an. Auch Michael Schumacher ist wirklich klasse und selbst „vor dem Start bei bester Laune“. Aber Achtung: „Eine junge bildhübsche Frau“ geht „aufgeregt in der Box auf und ab“. Wer mag das sein? Madonna? Nein, es ist nur „Michaels Freundin Corinna (24)“.

Dann wird aber auch schon „in flippiger Art“ die National Basketball League (NBA) vorgestellt, „weltexklusiv“ erfährt man alles über die Katze eines Wrestler namens hitman sowie das Tierkreiszeichen von Henry Maske („Steinbock“).

Die Bild-Zeitung war's mal wieder, die hier die journalistische Vorlage lieferte: „Runter von den Tribünen, ran an die Sportler“ hieß in den 60ern deren durchaus richtiges Motto, das aber bedauerlicherweise nur sehr reduziert umgesetzt wurde und letztlich zu einer schlimmen Trivialisierung führte. Sat.1 und seine geistig-privaten Brüder und Schwestern haben das „ran“ an die Sportler dann visualisiert – und jetzt bringt Bravo Sport den Athleten und sein Tun also vollends auf „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“-Format.

Dunkel war die Nacht, ein Vogel sang, als Andi Möller („gerade 16“) sich einst den Tanzstreifen Flash Dance ansah. Andi: „Es war dunkel, ein wahnsinnig hübsches Mädchen saß neben mir – es war einfach toll.“ Und heute ist Michaela („15“), tja, seine Frau. Prima, prima, diese Welt, in der man „total verrückt nach Andre Agassi“ ist (Birgit, 16), ein gewisser Effe „22 Minuten“ duschen kann und dennoch „konzentriert, aber trotzdem locker“ wirkt, obwohl er echt richtig harte Fragen gefragt wird. Warum er nicht zur Bundestagswahl ging? „Ich interessiere mich nicht für Politik.“ Ein echtes Idol, dieser Effe. Und durchaus paradigmatisch im Kontext einer gedankenfreien Zeit in fünf Buchstaben zu deuten: R-A-F-F-E!

Der Zustand vollkommener Barbarei auf dem Höhepunkt der Zivilisation oder so! Hat nicht Herbert Marcuse ihn für möglich gehalten? Bravo Sport weist ihn konsequent nach: Bodybuilding (mit Franzi!), Knoblauchwürstchen, Videospiele, Lothar Matthäus, Platten-Clubs, Energy-Drinks und der „Sport-Doc“ („Was bringt Red Bull?“). Nichts bleibt ausgespart.

Aber, es gibt auch im Dunkel eine Macht, die, ach!, Rettung verheißt. Was uns zu den sogenannten moments of love bringt: „Bilder, die man leider nicht im Fernsehen sieht“. Lothar und Lolita, Andre und Brooke, Dieder und Isabell. Wie die sich anschauen! So verliebt. Nur Steffi guckt auch im Moment der Liebe wie immer. Griesgrämig.

Franzi und Steffen dagegen haben nur Augen für sich. „Toll“, läßt Bravo Sport Franzi sagen, „daß wir beide Schwimmer sind.“ Und das Blatt selbst kleidet den hier leise durchschimmernden Zukunftsoptimismus in himmlische Prosa: „Ihre zarte Liebe“, so heißt man uns hoffen, „wächst beim täglichen Üben.“ Megaprima: ganz genau so hat Franzi das schließlich bei Mutter Bravo im Fummel- und Pettingkurs gelernt. Peter Unfried

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen