: Vom Runden Tisch zum Spiegel-Gespräch
■ Im Audimax der Berliner Humboldt-Universität diskutierten sechs Protagonisten der Wende über die große Demonstration vom 4. November 1989 am Alex
Berlin (taz) – Sechs Protagonisten der 89er Wende treffen sich nach fünf Jahren wieder und schwelgen in Erinnerungen an ein Ereignis, das sie bei allen Unterschieden der politischen Biographie einen Tag lang miteinander verband: Sie waren, bis auf eine, RednerInnen der denkwürdigen Demonstration vom 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz. Bärbel Bohley, die eine, die nicht wollte, ruft sich die zitternden Hände von Markus Wolf in Erinnerung, für sie seinerzeit ein untrügliches Zeichen dafür, daß „alles gelaufen“ war. Der solchermaßen dekuvrierte Stasi-Mann offenbart, daß sein Chef Mielke ihn zu seiner Rede animiert habe, die Schauspielerin Steffie Spira erklärt, an jenem kalten Novembertag geträumt zu haben, „daß die Einheit bald hergestellt wird“, wohingegen Jens Reich feststellt, daß sich kein Transparent und kein Plakat der Veranstaltung auf die bevorstehende Maueröffnung bezogen hatte. Der LDPD-Chef Manfred Gerlach wundert sich noch immer, daß er als Vertreter von 40 Jahren DDR-Politik von den Demonstranten angenommen wurde und behauptet, die DDR sei am Ende gewesen, derweil Lothar Bisky sich in seiner Hoffnung auf eine radikal reformierte DDR im Einklang mit Bärbel Bohley sieht.
Ein netter Austausch von Erinnerungen hätte es sein können, doch die Runde, die am Montag abend auf dem Podium des Audimax der Berliner Humboldt-Universität zusammentrifft, führt kein Gespräch unter Altbekannten, sondern eines der besonderen Art: ein Spiegel-Gespräch. Das Nachrichtenmagazin hat zur Talk- Runde nach Art des Hauses geladen, konfrontativ und ergründend sollte sie sein und, bitte schön, ohne Einmischung des Publikums. Eine Vorgabe, die der Moderator, Spiegel-Redakteur Gabor Steingart, sich hätte sparen können, hat doch bereits zuvor sein Chefredakteur Hans Werner Kilz erfahren, was das Publikum im überfüllten Saal unter Einmischung versteht. Wortreich hat der sich weniger dem Thema „Was aus den Träumen wurde“ als der Weise gewidmet, wie es im Spiegel betrachtet wird. Die Selbstbespiegelung des aus Hamburg Angereisten wird in zahlreichen Zwischenrufen des vornehmlich Ostberliner Publikums („Schleimer“, „Wir kaufen den Spiegel ja“) als das quittiert, was sie ist: Eigenwerbung pur.
Der Traum vom 4. 11. 1989 lautet, da formuliert Bärbel Bohley für die ganze Runde, „ein Land selbst gestalten“. Er ist geplatzt. Nun sind Träume nicht die Sache des Spiegels, zum Substantiv DDR-Vergangenheit stellt er am liebsten das Verb aufarbeiten. Diese Arbeit muß Ergebnisse haben, und auf ein solches steuert auch das Spiegel-Gespräch hin. Zuwenig Zeit bleibt, bei den Ereignissen des November zu verweilen. Dabei vermittelt allein schon das Zwiegespräch Wolfs mit Bohley einen tieferen Einblick in die friedliche Revolution als alle systemtheoretischen Analysen. Da erkennt der ehemalige Machthaber die „Tragödie“ der Wende darin, daß diejenigen, die auf Veränderung drängten, vorher nicht zusammengefunden haben. Er bedauert, die von seinem Apparat Verfolgte nicht bereits um Entschuldigung für begangenes Unrecht gebeten zu haben.
Zuviel der sanften Töne, der Moderator Schwarz ist erst „erleichtert“, als Unfriede aufkeimt, er schürt ihn. So steuert der Abend wie vorgezeichnet auf das aktuellen Reizwortpaar Stasi/Gysi. Schwarz fragt, wie Ost und West zusammenkommen sollen, wenn die Aufarbeitung nicht geleistet wird. Es klingt in den Ohren des Publikums wie die Formulierung einer Vorbedingung und wird entsprechend quittiert. Derweil verständigen sich Bohley und Bisky, den Fall Gysi anhand der Akten bei nächster Gelegenheit öffentlich zu diskutieren. Dieter Rulff
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen