Private Chronik der Wende

Ausstellung im Stadtbad Oderberger Straße: Ein Erlaubnishauptmann der VoPo, ein Erlaubnisbürgermeister und die Foto-Love-Story eines Baustadtrats  ■ Von Uwe Rada

Vorher: Der Mann hieß Kalfki und war „Erlaubnishauptmann“ der Volkspolizei, zuständig für Kultur und chemische Gifte. Über Jahre hinweg war an ihm kein Vorbeikommen. Bis die politische und künstlerische Opposition in der Oderberger Straße den damaligen Wohnbezirksausschuß der Nationalen Front unterwanderte, die eigenen Veranstaltungen fortan selbst genehmigte und dem „Erlaubnishauptmann“ nur noch blieb, die anorganischen Umtriebe zu verhindern.

Nachher: Der Mann heißt Dennert und ist Bezirksbürgermeister zu Prenzlauer Berg. Ein Job mit politischem Gestaltungsspielraum. Zwei Wochen nachdem er die „Erlaubnis“ erteilte, ereilten den Sozialdemokraten am Mittwoch plötzlich Skrupel. Die Ausstellung „Revolution im Trockenen“ im seit acht Jahren stillgelegten Stadtbad Oderberger Straße sollte geschlossen werden. Ein Vorwand mußte herhalten, die baupolizeiliche Sperrung der Emporen und angebliche „Kerzenwachsflecken“ im ersten Stockwerk.

„Zumindest in solchen Dingen“, resümiert Ausstellungsmacher Bernd Holtfreter, „hat sich kaum etwas geändert.“ Jene, deren Aufgabe es ist, Umtriebigkeit von unten zu verhindern, sind die gleichen geblieben und diejenigen, die den Verhinderern Rätsel aufgeben, ebenfalls. Daß die Ausstellung über fünf Jahre „Wende“ im Prenzlauer Berg weiterhin zu sehen ist, ist nicht zuletzt einem alten Straßenrevoluzzer zu verdanken, dem heutigen Baustadtrat Matthias Klipp, ein Kämpe wider die Abrißwut der SED und die Aufbauwut privater Investoren.

Rückblick: Erinnern als Sehhilfe für die Gegenwart. Fotografieren gegen das Vergessen von Forderungen, ohne die eine Zukunft leblos wäre. Ein künstlerisches wie politisches Konzept, das bislang die Zuschauer in Scharen in die Oderberger Straße strömen ließ. Nicht nur als Konsumenten, sondern auch als Beteiligte. Jeder aus dem Kiez kann seine Erinnerungen ausstellen. Eine private Chronik der Wende, der Umbruch im Mikrokosmos.

Dort, wo das blaugekachelte Bad einen über den Beckenrand blicken läßt, flimmern auf den Bildschirmen Amateuraufnahmen von den Auseinandersetzungen am 7. Oktober an der Schönhauser. Am andern Ende der Schwimmkathedrale, an einem der Pfeiler der darüberliegenden Wandelgänge, klebt das Familienalbum von Matthias und Edda Klipp. Eine Foto-Love-Story von zeitgeschichtlicher Bedeutung, denn noch am Morgen, als man nicht wußte, was der 4. November bringen würde, sammelten sich die Demonstranten in der Oderberger Straße, mit Fleischermeister Dufft an der Spitze. Am Abend dann, bei der Feier im Straßenclub, hieß es für Matthias und Edda Verlobung. Sechs Tage später fiel auch in der Oderberger Straße die Mauer der Spitzhacke eines Straßenbewohners zum Opfer. Heute braust über die Eberswalder Straße der Ringverkehr, graben am Jahn-Sportpark die Bagger trotz Nolympia eine Mehrzweckhalle, das Millionengrab für den Breitensport im Bezirk.

Ausblick: Die Zeit im Oktober und November war, trotz aller Enttäuschung über die Unbeweglichkeit der SED-Führung, eine „Zeit, in der wir wie nie identisch waren“, meint Verleger Christoph Links, der am Mittwoch abend im Stadtbad zusammen mit dem ORB das Erinnerungsprojekt „Chronik der Wende“ zur Diskussion stellte. Genau das, meinte Links, gelte es in Erinnerung zu halten, auch gegen die Erfahrungen der letzten Jahre, in denen vieles von der damaligen Aufbruchstimmung wieder zugeschüttet worden sei.

Erinnern bis zum Eräußern. „Mit seiner Öffnung als Ausstellungsraum“, meint Wolfgang Krause, der arbeitswütige Art- director der Ausstellung, „wird das Stadtbad fortan ein ständiger Stachel sein.“ Fotos der Trockenübung von Walter Momper und Thomas Krüger auf dem leeren Beckengrund im August 1990 zeigen, daß es mit bloßen Sanierungsbekundungen nicht getan ist. Eine Einschätzung, der sich auch die Ausstellungsmacher angeschlossen haben. Neu im Programm ist eine Foto-Serie aus Freiburg. Dort hatten Schwimmfreunde heuer dem Trocken- und Sparschwimmen mittels einer spektakulären Bäderbesetzung ein feuchtfröhliches Ende bereitet.