: Keine Zukunft mit von Stahl
■ Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger will Richtungsdebatte in der FDP
Berlin (taz) — „Die Krise der FDP ist hausgemacht.“ Zu diesem Befund kam am Wochenende der Zusammenschluß des linken Flügels in der FDP, der sogenannte Freiburger Kreis bei einem Treffen in Berlin. Die cirka 100 Linksliberalen, unter ihnen Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger, beschlossen, in die Offensive zu gehen. Die „Rolle einer Reformpartei“ soll zurückgewonnen werden. Dabei ist aber „unabhängig von der inhaltlichen Bewertung der Koalitonsvereinbarung“ ein Ausstieg aus der Koalition „kein Diskussionsthema“.
taz: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, die Koalitionsvereinbarung läßt kaum liberales Profil erkennen. Sind Sie denn mit den Ergebnissen zufrieden?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich bin insofern zufrieden, als in der Koalitionsvereinbarung klar formuliert wurde, daß wir eine Novelle des Ausländerrechts und eine umfassende Reform des Staatsangehörigkeitsrechts wollen. Das ist ein Schritt nach vorn ...
... der aber mit Ihrem Koalitionspartner nicht gegangen wird.
Das sehe ich nicht so. Wir stehen erst am Anfang der Legislaturperiode und haben diesen Punkt recht konkret formuliert, indem wir gesagt haben, eine umfassende Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes wird vorgenommen und nicht nur überlegt oder geprüft. Dasselbe gilt auch für das Ausländerrecht. Es liegt jetzt am Koalitionspartner FDP, wie stark er sich dafür engagiert.
Fest vereinbart ist lediglich die Kinderstaatszugehörigkeit.
Bei aller Kritik daran ist das ein erster kleiner Schritt in die richtige Richtung.
Welche Initiativen will der Freiburger Kreis jetzt ergreifen?
Er will sich innerhalb der Partei offensiv an der künftigen Standortbestimmung des Liberalismus beteiligen. Wir möchten wegkommen von den Flügelbestimmungen links-rechts, bürgerrechts- oder wirtschaftsliberal. Wir wollen deutlich machen, daß an liberalen Grundüberzeugungen sich alle unsere Politikentscheidungen ausrichten, sei es im Wirtschafts-, sei es im Rechtsstaatsbereich.
Ist denn die FDP-Bundestagsfraktion in ihrer Zusammensetzung dazu angetan, diese Grundüberzeugungen umzusetzen?
Es geht zunächst um eine Diskussion in der Partei. Ich glaube, daß jetzt, wo wir das Superwahljahr hinter uns haben, der Wunsch besteht, mehr als bisher liberale Überzeugungen umzusetzen.
Wo ist denn in der Parteispitze das Personal, diese Grundüberzeugungen durchzusetzen?
Wir haben in der Parteispitze mit Klaus Kinkel sehr wohl jemanden, der sich nach den Wahlkämpfen der vergangenen Monate etwas freier machen und sich intensiv dieser Auseinandersetzung widmen kann. Der Freiburger Kreis will Anstöße geben, die vom Bundesvorstand und vom Vorsitzenden offen diskutiert werden. Wir wollen niemanden ausgrenzen, aber eine offene faire Richtungsauseinandersetzung.
Eine Kurskorrektur ohne personelle Konsequenzen?
Ich halte es für ganz verkehrt, die notwendige inhaltliche Debatte mit Personaldiskussionen zu verbinden. Dann wird nur über die Personen gesprochen und nicht über die Inhalte. Letzteres ist jedoch für die FDP wichtig.
Vor dem Freiburger Kreis hat sich bereits die Rechte der Partei, namentlich Ihr ehemaliger Untergebener von Stahl zu Wort gemeldet und eine nationalkonservative Profilierung der FDP gefordert.
Ich habe den Unterschriften entnommen, daß sehr wenige dieses Papier formuliert haben. Es zeigt, daß eine Richtungsdiskussion in der FDP notwendig ist, die sie in die Lage versetzt, deutlich zu machen, daß sie die einzige Partei des organisierten Liberalismus ist. Diese Diskussion wird auf dem Sonderparteitag in Gera beginnen. Sind von Stahls Positionen und Ihr Verständnis von Liberalismus innerhalb einer Partei vereinbar?
Wir stehen erst am Anfang einer Richtungsdiskussion. Nach meinem Verständnis von Liberalismus hat die FDP keine Zukunft mit diesen rückwärtsgewandten und populistischen Thesen des in der Öffentlichkeit stark überbewerteten Papieres aus Berlin.
Interview: Dieter Rulff
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