: Aus Talk im Turm mach Talk am Berg
■ Der neue ORF-Intendant auf dem Wiener Küniglberg, Gerhard Zeiler (früher RTL 2), imitiert die deutschen Privatsender
Offiziell ist der Österreichische Rundfunk (ORF) immer noch eine Monopolanstalt. Doch auch wenn das Zeitalter des Kommerzfernsehens jenseits der Alpen erst beginnt, ist es mit dem Monopol längst vorbei – seit immer mehr Österreicher über Äther oder Kabel die Schweizer und deutschen Programme sehen können. Heute haben ORF 1 und 2 zusammen nur noch 31 Prozent Marktanteil, die deutschen Privatprogramme schon 38 Prozent.
Bald werden dazu noch die österreichischen Verleger (hinter ihnen stehen Springer und die WAZ-Gruppe) lokale Konkurrenz in den Fernsehhimmel schicken. Für 1996 befürchtet man, daß die deutschen Privatsender „Fenster“ für die österreichischen Zuschauer schalten. Da kommt ein neuer Intendant gerade recht, der stolz von sich sagt: „Ich bin ein Kommerzialist.“
In den letzten Jahren war Gerhard Zeiler, als Chef von Tele 5 und RTL 2, damit beschäftigt, Catchen und Trickfilme unter die Jugend zu bringen, beim ORF will er, wie er sagt, jetzt „eine Kulturrevolution“ betreiben. Zeiler beerbt Helmut Kohls Berater Gerd Bacher, der den ORF mit Unterbrechungen seit den 60er Jahren führte. Dessen Bilanz ist zwiespältig: Einerseits ist der ORF von Parteigünstlingen durchsetzt, andererseits hatte das Programm respektable Qualität.
Alpen-Meiser und „Live-Infotainment“
Zeiler, einer von den Medien- Österreichern, die in Deutschland Karriere machten, kehrte im Herbst zurück – und will nun beim ORF die Programmstruktur völlig verändern. In Windeseile müssen sich die Redaktionen neue Projekte ausdenken, die bis Anfang März bildschirmreif sein müssen. Alle neuen Sendungen bekommen klare Quotenvorgaben – wer die nicht erfüllt, fliegt aus dem Programm, wie kürzlich „Polizeiruf 133“. Die „totale Offensive gegen die Privatsender Sat.1, RTL & Co.“ (so das Springer-Magazin News) beginnt schon morgens – und bei den Kindern. Weil die „fast geschlossen zu RTL, Sat.1 oder Pro 7 exiliert“ sind, gibt es jetzt auch beim ORF zwischen 6.30 Uhr und 9.00 Uhr Trickfilme.
Im zweiten Programm wird dann um 16 Uhr eine „Lebenshilfe-Show“ starten. Walter Schiejok, der früher eine angesehene Sendung für Bürger und gegen Beamte, Betrüger & Co. moderierte, soll als eine Art Alpen-Meiser den Österreichern, „vom mißhandelten Kind bis zum Urlaubsheimkehrer, der mit seinem Hotelzimmer nicht zufrieden war“, zu ihrem Recht verhelfen. Den Vorabend füllt eine völlig neue „Live-Infotainment-Sendung mit Service-, News- und Unterhaltungselementen“, auf ORF 1 laufen derweil US-Serien.
Jeder Abend schließlich bekommt einen eigenen Schwerpunkt. Statt der abgeschafften In- und Auslandsreportage laufen nach „Ärzte- und Förster-Serien“ montags und dienstags jeweils um 21 Uhr Magazine; Mittwoch soll der soeben zurückgetretene Wiener Bürgermeister Helmut Zilk eine Talkshow bekommen – sofern kein Fußball im Angebot ist. Donnerstag wird es ab 21 Uhr eine Hausfrauen-Talkshow nach dem Vorbild von Schreinemakers geben, und so weiter.
Für den Samstagabend will die neue Programmchefin Kathi Zechner, sie kommt vom holländischen Unterhaltungsgiganten Endemol, eine neue Show installieren. Ab 22 Uhr soll der (vielleicht beste) Politik-Moderator Helmar Oberhauser eine etwa 75minütige Sportshow moderieren (Vorbild „ran“). Abkupfern will man auch am Sonntag mit „Talk am Berg“. Den Erich Böhme soll wahrscheinlich Peter Rabl, Chef der Tageszeitung Kurier, spielen.
Stellenabbau um mehr als ein Viertel
In der weißwandigen ORF-Trutzburg auf dem Küniglberg über Wien ist so etwas wie Panik ausgebrochen. Viele Redakteure wissen nicht, wie es mit ihnen persönlich weitergeht, wo und woran sie in ein, zwei oder drei Monaten arbeiten. Klar ist: Mittelfristig müssen zwischen 800 und 1.100 von insgesamt 3.200 Mitarbeitern den ORF verlassen, davon 180 in der TV- Verwaltung, 160 in den Landesstudios und allein 500 in der Technik. Die Stellen von 500 künftigen Pensionären werden nicht mehr besetzt.
Trotz aller Notwendigkeit, Dinge dann zu ändern, wenn man sich noch stark fühlt, täte es dem ORF gut, sich nicht wie ein Kommerz-Programm allein nach Quoten zu richten. Zeiler, der als alleinigen Maßstab Marktanteile vorgibt, schaufelt damit dem ORF womöglich sein Grab. Irgendwann werden sich die Österreicher vielleicht fragen, wozu sie Gebühren zahlen sollen, wenn das ORF- Programm den privaten Sendern aus Deutschland zum Verwechseln ähnlich sieht.
Aber die meisten Redakteure haben, wenn sie sich überhaupt für ausländisches Fernsehen interessieren, bestenfalls deutsche Sender zu Hause im Kabelnetz. Was etwa die BBC oder öffentlich-rechtliche Sender in Holland oder Belgien an respektablen Programmen hervorbringen, weiß auf dem Küniglberg kaum jemand. So könnte es kommen, daß aus Europas letztem TV- Monopol-Sender Europas erstes gebührenfinanziertes Kommerz- Programm wird. Falk Madeja
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