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Zum Showdown an die Spree

Deyhle, Kurz und Co: Als Auftakt beging man in Stuttgart nun die Premiere des Musicals „Miss Saigon“  ■ Von Frank Hofmann

Stuttgart – da waren sie nun alle, die im Südwesten Geld und Macht auf sich vereinen – und sonnten sich in einem für die schwäbische Landeshauptstadt ungewohnten Glamour. Am Freitag abend war Premiere in Stuttgart: „Miss Saigon“, die mittlerweile vierte Musical-Produktion des Stuttgarter Milliardärs Rolf Deyhle und seiner Stella Musical Management GmbH (Hamburg). Deyhle machte bereits mit dem „Phantom der Oper“ und „Cats“ in Hamburg sowie „Starlight Express“ in Bochum kräftig Kasse.

Zusammen mit dem Musical- Guru Frieder Kurz hatte der Stuttgarter vor Jahren die seichte Form der Bühnenunterhaltung in Deutschland etabliert. Die beiden hatten gemeinsam Erfolg – bis der Bruch kam. Kurz ging daraufhin nach Berlin („Shakespeare and Rock'n'Roll“). Deyhle konzentrierte sich auf sein „Baby“ in Stuttgart – um jetzt 1998 selbst an die Spree zu kommen, um seinem früheren Geschäftspartner Konkurrenz zu machen.

In Stuttgart kam es unterdessen, wie es kommen mußte: Am Ende, nach der Premierenvorstellung, waren sie alle „glücklich“ und „begeistert“ – da hatte er wieder einen Wurf gemacht, der Rolf, der Bürgersohn aus dem Stuttgarter Arbeiterstadtteil Gablenberg, der es geschafft hat, vom kleinen Finanzbeamten aufzusteigen und einmal so richtig Kohle zu machen.

Das vietnamesische Liebesmelodram – ein zweieinhalbstündiges, an Puccinis „Madame Butterfly“ orientiertes Stück, wurde mit den vorprogrammierten Standing ovations der gewichtigen Herren und Damen aus Untertürkheim (Mercedes-Chef Helmut Werner) quittiert, natürlich auch von Ministerpräsident Teufel (CDU) himself und seiner Landesregierung. Auf der Suche nach bekannten Köpfen hatten sich vor der neuen Musical Hall wie in Hollywood oder Cannes die Schaulustigen die kalten Füße in den Bauch gestanden – mit magerem Erfolg. Die Schwaben mußten schon glücklich sein, wenigstens ein bißchen Prominenz aus der zweiten Reihe wie den Schnulzenbarden Howard Carpendale vor die einsatzbereite Ritschratsch-Kamera zu bekommen, um ihn – Wunder gibt es immer wieder – zusammen mit Katja Ebstein abzulichten.

17 Kamerateams und 300 angemeldete Journalisten irrten acht Stunden lang in dem neuen Deyhle-Tempel umher, um wenigstens ein paar bekannten Menschen aus der zweiten High-Society-Garnitur die Frage des Abends zu stellen: „Und wie fanden Sie's?“ Da war die teuerste Provinzhauptstadt Deutschlands mal so richtig wichtig! Miesmacherei war verpönt. Selbst die Vertreter der im Gemeinderat vertretenen Grünen wollten sich nicht zum Boykott von Deyhles Kommerztempel hinreißen lassen, obwohl sie sich in den Monaten zuvor nicht unkritisch über sein Projekt ausgelassen hatten. Allein der einzige Vertreter der konservativen Ökofraktion ÖDP im Stuttgarter Rathaus wollte nicht so recht. Die beiden großen Zeitungen – Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten lehnten im Vorfeld kurzerhand die Veröffentlichung einer Anzeige mit dem Text „Heute Miss Saigon – morgen Miss Sarajewo?“ ab. Die Gesellschaft „Kultur des Friedens“ wollte damit einen Zusammenhang mit dem Vietnamkrieg und dem immer noch blutigen Waffengang in Bosnien herstellen.

Anekdote am Rande: Am Ende der Miss-Saigon-Aufführung gibt sich die Hauptdarstellerin Aura Deva die Kugel, – nach getaner Arbeit zog es die Ehrengäste zu den Büffets und Freßständen. Die waren mit 30 Tonnen Meeresfrüchten, fünf Tonnen Fleisch und 20.000 Canapés überhäuft. Die 1.500 Magnum Champagnerflaschen wurden sicherlich auch leer.

Neben der Musicalpremiere stand an diesem Abend auch die medienmäßige Präsentation des neuen „Freizeit und Erlebniszentrum Stuttgart International“ auf dem Programm. Eineinhalb Jahre lang wurden im Stadtteil Möhringen, gegenüber der Daimler-Konzernzentrale, 500 Millionen Mark verbaut. Deyhle ließ sein Hotel Stuttgart International renovieren und zog daneben die Musical Hall und einen weiteren Hotelbau in die Höhe. Es entstand ein Prunkkomplex, für das die Stuttgarter Medienmacher ob ihrer Erschlagenheit nur noch Vergleiche im fernen Amerika fanden: In Stuttgart sei, so hatten sie schon Wochen vor der Musicalpremiere geschrieben, ein Klein-Las-Vegas entstanden, kurz: Deyhle-City. Bis ins kleinste Detail hat sich der Milliardär hier selbst verwirklicht. Die Bilder, die Innenausstattung – was dem medienscheuen Musical-Zaren nicht auf Anhieb in den Kram paßte, wurde wieder abgerissen und neu aufgebaut. Im Erdgeschoß seines Hotels entstand eine Edeltherme mit Planschbecken, die von einer aus finnischem Holz geschnitzten Landschaft umgeben sind. Saunen, eine Kräuterhöhle – alles nur vom feinsten: für Stuttgarts Reiche, deren Gäste und Besucher, die sich's leisten können. Wie schon bei anderen Projekten hat Deyhle den gesamten Komplex drei Monate vor Eröffnung für 540 Millionen Mark verkauft, um ihn zunächst für die nächsten 15 Jahre zu mieten.

In den nächsten Monaten hofft er nun auf den Zuschlag für die erste Stuttgarter Spielbank. Die war in der Vergangenheit immer wieder an den Bedenken des katholischen Ministerpräsidenten Erwin Teufel gescheitert, um den sich Deyhle denn auch am Freitag abend besonders bemühte. Nach der Premiere zog er mit einem Troß der Landesregierung, darunter neben Teufel auch Wirtschaftsminister Dieter Spöri (SPD), Finanzminister Gerhard Mayer-Vorfelder (CDU) und SPD-Fraktionschef Ulrich Maurer, durch seinen Glitzertempel und sparte dabei auch die für die Spielbank vorgehaltenen Räumlichkeiten nicht aus. Die versammelte Landesregierung bedankte sich für den Premierenglanz, in dem sie sich mit bedächtigem Nicken sonnen durfte. Und VfB-Präsident Mayer- Vorfelder ließ sich gleich kräftig von seinem Spezi Deyhle herzen. In eineinhalb Jahren soll die 20 Millionen Mark teure Miss Saigon schwarze Zahlen schreiben. Seine Einnahmen aus Hamburg und Bochum und dann – so denn die Massen strömen – auch Stuttgart, investierte Deyhle in die neue Musical Hall in Duisburg (Les Misérables/ Premiere Dezember 1995) und Essen (Joseph/1996). 1998 will der reiche Schwabe dann nach Berlin gehen.

Mit der Daimler-Tochter debis hat seine Musical-GmbH Stella bereits einen Vorvertrag für die im Rahmen der Daimler-Bauten auf dem Potsdamer Platz geplante Musicalbühne geschlossen. 1.200 Besucher soll das Theater nach seiner Fertigstellung aufnehmen können. Welches Stück er dort spielen lassen will, ist noch unklar. Deutlich ist hingegen, daß es in vier Jahren an der Spree zum letzten Showdown zwischen Deyhle und seinem ehemaligen Geschäftspartner Frieder Kurz kommen könnte. Zwar sollen sich die beiden nach einer handfesten Auseinandersetzung mittlerweile wieder in die Augen schauen können, nach der Trennung waren Szenekenner allerdings davon überzeugt, daß sich Deyhle und Kurz künftig „nicht mehr in die Quere kommen wollen“. Darauf angesprochen, wurde Deyhle grantig. Das Gericht, vor dem er und Kurz die Regularien der Trennung entscheiden ließen, habe lediglich festgelegt, daß sein Konkurrent nicht dieselben Stücke spielen dürfe wie er. Und – um seine Position zu untermauern – fügt Deyhle hinzu: „Kurz hat Wettbewerbsverbot, ich habe keines.“

Die Berliner werden sich auf ein schönes Theater um das Theater freuen können. Für viele ist klar, daß der Stuttgarter es sich möglicherweise nicht nehmen lassen wird, den geschaßten Kompagnon mit allem, was er hat, aus dem Feld zu räumen. Will heißen: mit einem gehörigen Sack voll Geld. Voraussetzung für das Schauspiel ist freilich, daß Kurz' Shakespeare and Rock'n'Roll dann auch noch an der Spree aufgeführt wird. Am Rande der Premierenfeier soll ein Vertreter Deyhles schon mal das Gerücht gestreut haben, daß dem nicht so sein wird.

Und Kurz selbst? Der hat einen Tag vor der Premiere seinerseits die Fronten abgesteckt. Miss Saigon, so ließ der Wahlberliner verlauten, „ist das falsche Musical zum falschen Zeitpunkt in der falschen Stadt.“

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