: U-Boot beim Ärztekongreß
■ Vulkan-Schweißer schleicht sich ein / Serie "Asbest - die geleimten Opfer" (5)
Vulkan-Schweißer schleicht sich ein / Serie „Asbest – die geleimten Opfer“ (5)
Heiko Radloff hat jahrelang beim Vulkan geschweißt. Jetzt ist er einer jener Asbestkranken, deren Asbestose zwar anerkannt, aber nicht entschädigt wird. Er fühlt sich von den ärztlichen Gutachtern der Berufsgenossenschaft verschaukelt. Deshalb bildet er sich nun selbst aus: Er schleicht sich auf Ärztekongressen ein. Wenn grad kein Kongreß ist, kümmert Radloff sich um die „Asbestose-Gruppe“.
taz: Wie erfahren Sie denn überhaupt von den Kongressen?
Heiko Radloff: Wie ich mal in der Klinik zur Untersuchung war, hab' ich beim Chefarzt an der Pinnwand einen Anschlag über einen Kongreß gesehen, so ein Pneumologenkongreß in Hamburg.
Müssen Sie da nicht am Eingang eine Einladung vorweisen?
Draußen waren auch Schilder aufgestellt: „Nur für Ärzte“. Aber da muß man halt bißchen frech sein. „Hallo“, hab' ich gesagt, „sind die anderen schon alle drin?“ Oder ich hab' mich mit Dr. med. angemeldet.
Aber die plaudern beim Essen doch über ihre Praxen...?
Naja, die aus Hamburg aus der Klinik, wo ich gelegen hatte, haben mich erkannt – das sind die, die immer gesagt haben, daß ich nicht entschädigungspflichtig bin. Aber die haben mich nicht verraten, nur geguckt, was ich mache. Ich hab' dann auch gleich die neuen Geräte der Pharmaindustrie ausprobiert, an denen man die Lungenfunktion überprüft. Und da waren meine Werte tatsächlich schlecht, während sie in der Arztpraxis immer besser sind. Hab' ich mir natürlich meine Gedanken gemacht.
Auf den Kongreß in Oldenburg bin ich dann ohne Titel, die wollten mich erst ablehnen, ich hab' aber gesagt, daß ich nicht auffallen werde. Aber dann hat mich Prof. Woitowitz gefragt, wie man denn jetzt mit mir umgegangen wäre, der hatte bei mir 60 Prozent Erwerbsminderung festgestellt. Ja, und dann hab' ich vor versammelter Mannschaft gesagt, daß man mich betrogen hat, indem die anderen Gutachter die 60 Prozent Erwerbsminderung auf Null geschoben haben.
Und jetzt war ich wieder in Berlin. Da war ich mit einem Gutachter beim Essen – die werden ja von ihren eigenen Leuten gemieden, die gehen auch alleine essen. Und den hab' ich gefragt, ob er auch seinen Patienten vor der Lungenfunktionsprüfung Kaffee gibt.
Aber daran ist doch nichts schlimm, das ist doch nett...
In einer Tasse Kaffe, wenn die gut gebrüht ist, sind 150 Milli Koffein drin und 75 Theophylin, das ist ein lungenerweiterndes Mittel. Ich seh' das als Betrug an. Dann pustet man nämlich anschließend besser, dann bläst man wunderbar, und die Ärzte sagen, der Mann ist doch gesund.
Jetzt haben Sie ja sogar eine medizinische Prüfung bestanden.
Den Lehrgang in Essen wollte ich machen, weil ich wieder per Knochenszintigramm untersucht werden sollte, um Entzündungsherde zu sehen. Da werden radioaktive Stoffe in den Körper gespritzt, wo die Ärzte behaupten, das baut sich schnell wieder ab. Aber das stimmt nicht, sagt eine Schweizer Professorin. Das wollte ich genauer wissen. Bißchen komisch war mir schon, aber die Fachgespräche krieg' ich soweit mit. Eigentlich wollte ich vor der Prüfung abhauen, das war mir zu heiß, aber ein Urologe aus Wattenscheid sagte: Bleib, das will ich jetzt wissen. Ja, und da hab' ich Praktika und eine schriftliche Prüfung gemacht.
Und bestanden?
Ja klar. Die anderen nicht alle.
Was hat Ihnen das denn gebracht außer der Selbstbestätigung, daß Sie auch so schlau sind?
Ich habe hier bergeweise Röntgen- und CT-Aufnahmen – schau'n Sie, was ich hier gequält wurde. Die Aufnahmen braucht man ja nur lesen, das kann ich, hier sieht man die Lungenstarre, die Plaques, anderthalb Zentimeter dick. Deswegen hab ich auch selbst die Anzeige bei der Berufsgenossenschaft gemacht, mein Hausarzt hat das ja nicht gemeldet. Anerkannt ist meine Asbestose, klar, das kostet kein Geld, aber entschädigt wird sie nicht. Dabei kann man Asbestose nicht heilen, nicht bestrahlen, nicht operieren, nicht mit Chemotherapie behandeln. Warum soll ich das dann noch alles machen lassen? Was bin ich geröntgt worden! Alles Mumpitz. Da verdienen die Ärzte nur dran, aber ich, ich geh' vorzeitig dran kaputt.
Ich möchte nur noch rumschreien, rumbrüllen und den ganzen Mist vergessen. Mehr ist da nicht mehr drin.
Gespräch: Christine Holch
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