: Endemol auf RTL-Kurs
■ Wie Europas Unterhaltungs-Gigant Hollands Öffentlich-Rechtliche ausbootete
In Deutschland ist der Fernsehmarkt festgezurrt, die Anteile der großen Sender verschieben sich nur noch langsam. Anders die Niederlande. Dort steht der Sprung des Privatfernsehens über die 50 Prozent Marktanteil hinaus jetzt erst an. Der Sieger trägt allerdings in beiden Ländern denselben Namen: RTL.
Die europaweite Senderkette, beherrscht von der Compagnie Luxembourgeoise de Télévision (CLT), hat ihren rasanten Aufstieg nicht zuletzt einem niederländischen Partner zu verdanken: der Firma Endemol, Europas größter Produzent von TV-Unterhaltung. Seine Besitzer Joop van den Ende und John de Mol pflegen möglichst gleich große Vertragspakete abzuschließen. Das bekannteste enthielt neben fertigen Produktionen auch die Shows der Mol-Schwester Linda und verschaffte Helmut Thomas RTL so manchen Quotenhit.
Der Erfolg brachte die Konkurrenz auf Abwerbungsgedanken. Bei uns bändelte Sat.1 mit dem Geschwisterpaar de Mol an, und in den Niederlanden gelang es dem größten öffentlich-rechtlichen Sender namens Veronica, für seine Privatisierungspläne Endemol als Partner zu gewinnen. Schon verkündete im Oktober Endemol- Chef van den Ende, die Zusammenarbeit mit RTL-Niederlande sei vorbei, man habe sich von einem „Überherrscher befreit“, und die (neben Veronica acht) Öffentlich-Rechtlichen hofften, davon zu profitieren.
Auch Sat.1 will mit Endemol ins Geschäft
Die Kölner RTL-Manager befanden sich ebenfalls in harten Verhandlungen mit Endemol, von dessen Show- und Serien-Lieferungen man weniger abhängig sein wollte. Nach vielen Spekulationen heißt es aus Sat.1-Kreisen, daß der Kirch-Sender womöglich ab Ende kommenden Jahres von Endemol mit einigen Shows beliefert wird. Solange gilt der Vertrag Endemol- RTL noch. Serien wie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ werden bei RTL bleiben.
In den Niederlanden wähnten sich die Öffentlich-Rechtlichen mit Endemol auf der Siegerstraße. Der Produktionsgigant sollte eine großzügige Abnahmegarantie bekommen. Ein „TV-Krieg“, so sahen es schon die niederländischen Zeitungen, stand an: zwischen den CLT-Sendern RTL 4 und 5 auf der einen Seite sowie der Kombination Veronica/Endemol plus öffentlich- rechtliche Sender auf der anderen.
Anscheinend waren nur noch die Details der Abnahmegarantie auszuhandeln, als letztere sich Mitte vergangener Woche in Hilversum trafen. Doch es sollte eine noch kürzere Begegnung werden. Veronica-Chef Joop van den Reijden und Joop van den Ende teilten den verdutzten Verhandlungsführern der Öffentlich-Rechtlichen mit, daß man sich RTL wieder an den Hals werfen werde.
Geheimgespräche mit dem Übervater RTL
Heimlich hatte man weiter mit CLT/RTL gesprochen und nur eine Stunde vor dem Hilversumer Gespräch einen Vertrag unterzeichnet. Über die Gründe gibt es nur Spekulationen. Der Veronica- Chef behauptete, die Öffentlich- Rechtlichen hätten die Verhandlungen in die Länge gezogen – was diese bestreiten. Wahrscheinlicher ist, daß Veronica/Endemol mit dem angekündigten Ausstieg aus der Zusammenarbeit die RTL- Herren nur schocken wollte, um bessere Konditionen herauszuschlagen. Möglicherweise scheute Endemol auch ein juristisches Tauziehen um seine Stars. Denn die sind wahlweise bei Endemol selbst, bei RTL oder auch bei Öffentlich- Rechtlichen unter Vertrag – eine höchst komplizierte Situation. Nunmehr dürfte man sich mit RTL darüber geeinigt haben.
Die Luxemburger CLT und Veronica werden je 26 Prozent einer Firma bekommen, die ab 1.September 1995 gleich vier Fernsehsender betreiben wird – neben RTL 4 und 5 einen „Jeans and Young“-Sender und einen Musikkanal namens VTV. Endemol und der Verlag VNU sollen jeweils kleinere Anteile erhalten.
Die Vertreter der Öffentlich- Rechtlichen sind wie vor den Kopf geschlagen. Verhandlungsführer Marcel van Dam, Chef des Senders „Vara“: „Ich in meiner großen Naivität dachte, daß wir eine Übereinkunft hatten.“ Der Fernsehkrieg hat schon begonnen, der Vorsitzende der NOS (bei den Öffentlich-Rechtlichen für Sport und Nachrichten zuständig), André van der Louw, kündigte kämpferisch eine Schadenersatzklage an: „Wir sitzen hier nicht als geschlagene Hunde.“
Er könnte sich irren. Der CLT/ Endemol-Deal dürfte den öffentlich-rechtlichen Sendern an die Substanz gehen. Noch haben diese an die 50 Prozent Marktanteil, RTL um die 35 (die restlichen Zuschauer schalten ausländische Sender ein). Das Verhältnis könnte sich schon bald umkehren.
Öffentlich-Rechtliche bald in Geldnöten?
Finanznot könnte die Öffentlich- Rechtlichen sogar bald einen ihrer drei gebührenfinanzierten Kanäle kosten. Höhere Fernsehgebühren wird es jedenfalls kaum geben. Wie sie unter diesen Umständen die Fußballrechte gegen das Bündnis aus RTL/Veronica/Endemol ersteigern sollen, weiß keiner. Schon heute sichert sich RTL so manches Länderspiel.
Unterdessen sind es nicht nur wirtschaftliche Zwänge, die zum Kappen eines der drei öffentlich- rechtlichen Netze führen könnten. Kunsten 92, eine Gruppe von 250 Künstler-Organisationen, forderte erst kürzlich eine Orientierung an der englischen BBC. Die strahlt zwei höchst erfolgreiche und qualitativ vorbildliche Programme aus – ganz ohne Werbung. Das, so meint die Gruppe, sollte auch in Holland möglich sein.
Künstler träumen vom Qualitätsfernsehen
Demnach könnte bei einem der zwei Kanäle „der Schwerpunkt auf populären, aber guten Entspannungsprogrammen“ liegen, bei dem anderen auf Kunst, Kultur, Nachrichten, Sport und Filmen. „Ein Sender, bei dem Qualitätsprogramme auch zur prime time zu sehen sind“, träumte Kunsten-92- Sprecherin Jeannette Hoek. Noch lehnen das die Regierungsparteien ab. Vorläufig wollen sie prüfen, ob man gegen den „Megadeal“ (so ein PvdA-Sprecher) vorgehen könne. Ein Vertreter der linksliberalen Regierungspartei D'66 befindet eine „solche Machtkonzentration unerwünscht“. Nun hängt es davon ab, ob und wie schnell die Parteien handeln – sonst geht der Megadeal schnell über die Bühne. Falk Madeja
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen