■ Die schlimmste US-Droge heißt Ben & Jerry's Ice Cream
: Macht Sex quasi überflüssig

Spike Lee ist süchtig danach, Pete Seeger ist voll drauf, Rosanne Arnold sowieso und mit ihnen Millionen weniger bekannte Amerikaner. Die Droge, die sie täglich brauchen, heißt Double Dynamite Dough, Rainforest Crunch oder Wavy Gravy, wird in One-Pint- Dosen (474 ml) zu drei Dollar verdealt, ist in rund 20 verschiedenen Flavors zu haben und pusht den Cholersterol-Spiegel mit rund 70 Gramm Fett pro Dröhnung. Den Stoff gibt's ganz legal im Kühlregal jedes gutsortierten US-Supermarkts. Produktname: Ben & Jerry's Ice Cream.

Die Dealer Ben Cohen und Jerry Greenfield, zwei 43jährige Althippies aus Long Island, sind seit 16 Jahren im Geschäft. Umsatzzahlen steigend. Als sie 1978 ihren Alternativladen im Ökoparadies Vermont eröffneten, hätte keiner von ihnen gedacht, daß ihr selbstgemachtes Eis einmal zum nationalen Verkaufsschlager würde. Damals wollten sie einfach nur auf angenehme, friedliche Weise Geld verdienen. Ihre Unsportlichkeit und ihre Vorliebe für gutes, kalorienreiches Essen brachten sie auf die Idee, ungewöhnliche Eiscremesorten zu kreieren: besonders sahnig und mit dicken Chunks (Nuß-, Schoko- und Keksstücken), sollte es sein. Insider behaupten, daß die besten Kreationen unter Einfluß anderer Rauschmittel entstanden. Darüber schweigen sich die Geschmacksexperten jedoch aus. Schließlich wird ihr Eis auch gern von beinharten Drogengegnern geschleckt.

Über die Wirkung ihres Produkts spricht Eisspezialist Ben hingegen ganz offen: „Wenn du richtig drauf bis, ist es besser als Sex.“ Und zur Suchtwirkung: „Ja, die Leute lieben es, viel davon zu essen, und manchmal können sie sich überhaupt nicht mehr beherrschen.“ Richtig drauf sind mittlerweile so viele Amerikaner, daß das alternative Eiscreme-Unternehmen jährlich 150 Millionen Dollar umsetzt, 600 Angestellte beschäftigt und mit über 100 Franchise-Läden überall in den USA zusammenarbeitet. Hauptzielgruppe sind immer noch die Alt-68er. Mit Produktnamen wie Cherry Garcia (in Anlehnung an Jerry Garcia von Grateful Death), Almond Brothers oder Mint Jagger werden deren musikalische Helden geehrt. Natürlich war das Hippie-Eis auch beim Woodstock-Spektakel 94 dabei. Ben & Jerry wirtschaften immer noch nach den alten Idealen der Bewegung. Zwar gibt es keinen Einheitslohn, doch das dickste Jahreseinkommen darf nur siebenmal höher sein als das des kleinsten Angestellten – im knallharten USA-Kapitalismus schon beinahe ein sittenwidriger Grundsatz. Außerdem führen Ben & Jerry 7,5 Prozent ihres Gewinns an eine gemeinnützige Stiftung ab, kaufen ihren Kaffee bei einer mexikanischen Kooperative ein und arbeiten mit mehreren Arbeitslosenprojekten zusammen.

Künstliche Aromen, Emulgatoren oder Farbstoffe sind natürlich tabu. Daß ihr Eis trotzdem nicht nach Vollkornmüsli schmeckt, hat den Absatz ihres Stoffes über die Grenzen Vermonts hinaus nur beschleunigt. Gerade erobert Ben & Jerry's den britischen Markt. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die Engländer den sündigen Verlockungen von Chunky Monkey (Bananeneis mit Schokostücken und Walnüssen) oder Chocolate Chip Cookie Dough (Schokoeis mit Schokostücken und Kuchenteig) vollends erliegen. Ihren Mitkonkurrenten, den US-Eismulti Hägen Dazs, der schon länger auf dem Euromarkt operiert, haben sie, zumindest werbetechnisch, schon geschlagen. „Wenn Häagen- Dazs die Eiscreme ist, die man nach dem Sex braucht, dann ist Benn & Jerry's, das Eis, das man anstatt Sex braucht“, schrieb ein britischer Eislecker in Anspielung auf Häagen-Dazs' Sex-Kampagne.

Derweil wächst Ben & Jerry der Eisladen langsam über den Kopf. Bislang Firmenchefs, Marketingdirektoren, Vertriebsleiter, Produktprüfer und Geschmackserfinder in Personalunion, wollen die beiden Kalorienkönige jetzt erstmals einen Business-Manager engagieren, um sich mehr kreativen und sozialen Aufgaben widmen zu können. Unter ihren Kunden hat diese Meldung unterdessen gemischte Reaktionen hervorgerufen. Während einige befürchten, daß das Unternehmen damit heimlich den Verkauf ihres Musterbetriebes vorbereiten, schicken andere selbstgebackene Kuchen mit der Bewerbung in Zuckergußschrift oben drauf. „Sehr gute Kuchen“, wie Benn betont.

Statt einer konventionellen Stellenausschreibung forderten die Eismacher zum Schreib-Wettbewerb auf. Erster Preis für das beste Essay: der Job als Chief Executive. „Wir haben schon über 20.000 Antworten bekommen“, sagt Jerry. „Aber ich glaube, viele Leute sind schärfer auf den zweiten Preis: eine lebenslange Versorgung mit Eiscreme.“ Ute Thon

Wer sich noch schnell bewerben will, hier die Adresse: Ben & Jerry's Homemade Inc., P.O.Box 240, Waterbury, Vermont 05676