: Hilfe sollte aus einer Hand gezahlt werden
■ Berlins Sozialsenatorin Stahmer (SPD) zu Waigels Plänen zum Umbau der Sozialhilfe
taz: Frau Stahmer, Bundesfinanzminister Waigel will die Sozialhilfe nach Regionen staffeln. In Berlin und München seien schließlich die Lebenshaltungskosten höher als im Bayrischen Wald. Das klingt doch einleuchtend.
Ingrid Stahmer: Das ist auch einleuchtend, denn das gibt es bereits. Die Sozialhilferegelsätze in Berlin und München sind tatsächlich höher als in den ländlichen Gebieten. Das muß der gute Herr Waigel nicht recht gemerkt haben.
Nun will Herr Waigel die Staffelung auch einführen, um einen gebührenden Abstand zwischen den Sozialhilfesätzen und dem Arbeitslosengeld zu gewährleisten.
Herrn Waigel scheint die unterschiedliche Systematik, die der Berechnung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe zugrunde liegt, nicht zu berücksichtigen. Wir haben eine klare Tarifgebundenheit der Arbeitslosenhilfe und des -geldes, und wir haben eine klare Gebundenheit der Sozialhilfe an das Existenzminimum. Insoweit ist die vermeintliche Ungerechtigkeit, die Herr Waigel beklagt, daß jemand mit Sozialhilfe mehr bekommen kann als mit Arbeitslosenhilfe, mit unserer derzeitigen Systematik nicht zu beheben. Ich schlage schon seit mehreren Jahren vor, daß in solchen Fällen die notwendige Hilfe aus einer Hand gezahlt wird, daß also das Arbeitsamt den Betrag auf die Arbeitslosenhilfe drauflegt, der in der jeweiligen Region notwendig ist, um das Existenzminimum zu garantieren.
Das sogenannte Abstandsgebot, von dem Herr Waigel spricht, verfängt als sozialpolitisches Argument doch auch bei Ihren Parteifreunden.
Ja, aber das Abstandsgebot bezieht sich nur auf die Differenz zwischen Sozialhilfesatz und Löhnen, nicht auf die Arbeitslosenhilfe. Dieses Abstandsgebot wurde auch nach Untersuchungen der Bundesregierung immer gewahrt. Bei einem einzelnen blieben auch die niedrigen Tariflöhne immer über dem Sozialhilferegelsatz...
... Bei Familien schaut die Gleichung schon anders aus.
Die ungleiche Gewichtigkeit kommt in der Tat immer erst dadurch zustande, daß die Löhne sich nicht auf die Größe der Familie beziehen. Bis zum Solidarpakt stand im Sozialhilfegesetz, daß das Abstandsgebot bei Familien durchbrochen werden kann.
Sehen Sie Regelungsbedarf?
Nein, den kann man nur im Umbau des Gesamtsystems sehen, indem man zum Beispiel die Hilfe der Sozialhilfe in die Leistung der Arbeitsämter bei der Arbeitslosenhilfe hineinnimmt. Die sind ja auch sozialhilfeartige Regelungen, weil sie unter anderem davon abhängig gemacht werden, ob unterhaltsfähige Angehörige vorhanden sind. Sie werden zudem nicht aus den Beiträgen der Arbeitslosenversicherung, sondern als soziale Unterstützung aus dem Bundeshaushalt gezahlt.
Wer als Sozialhilfeempfänger dazu verdienen will, darf den Lohn bis zu einer Grenze von 250 Mark einbehalten. Um die Arbeitsmotivation zu steigern, will die FDP diesen Freibetrag erhöhen.
Diesen Vorschag hat auch Eppelmann für die Sozialausschüsse der CDU gerade gemacht. Wir haben in Berlin diese Position bereits seit längerem vertreten. Es ist natürlich bei einem relativ geringen Verdienst eine Hilfe zu sehen, daß davon etwas frei bleibt, auch wenn man zusätzlich Sozialhilfe braucht.
Sie unterstützen eine solche Initiative?
Ja.
Der sozialpolitische Sprecher der SPD, Rudolf Dressler, will von einer Erhöhung der Freibeträge nichts wissen. Dies könne nur zu mehr Beschäftigungsverhältnissen unterhalb der 560-Mark-Grenze führen, ab der Löhne sozialversicherungspflichtig sind.
Es besteht in der Tat die Gefahr, daß die Arbeitgeberseite sich darauf einrichtet, daß Leute mit Niedriglöhnen Sozialhilfe dazubekommen. Um das zu vermeiden, plädiere ich dafür, die Geringfügigkeitsgrenze ersatzlos zu streichen. Interview: Dieter Rulff
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