Das Schlitzohr und der Präsident

Berlusconi sucht Italiens Staatschef in die Enge zu treiben, muß aber wohl dennoch die Aktentasche packen: Scalfaro und die Mehrheit der Abgeordneten sind gegen Neuwahlen  ■ Aus Rom Werner Raith

Wenn es um Schlitzohrigkeit geht, wollen sich Silvio Berlusconi und seine Crew von niemandem übertreffen lassen: Noch war Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro nicht fertig mit der ersten Runde der Konsultationen mit den Fraktions- und Parteichefs der Parlamentsparteien, da streuten Vertraute des gescheiterten Ministerpräsidenten bereits, das Staatsoberhaupt werde allenfalls ein Übergangskabinett einsetzen, das Neuwahlen im März vorbereiten solle. Es dürfe keine neuen Gesetze einbringen oder gar institutionelle Reformen angehen.

Damit freilich hat Berlusconi nun wieder einmal genau das Gegenteil von dem erreicht, was er hoffte zu erreichen – ohne Umschweife hat Scalfaro, im Gegensatz zu seiner sonstigen Übung des Schweigens bis zur Entscheidung eines neuen Regierungsauftrags, das Gerede dementieren lassen und dazugefügt, „derlei Gerüchte streuten wohl nur jene, die an sofortigen Neuwahlen interessiert“ seien – eben Berlusconi.

Der weiß genau, daß jeder Tag, den ein anderer auf seinem Sessel im römischen Palazzi Chigi sitzt, ein Stück realen Machtverlustes bedeutet, und das nicht nur, weil jede alternative Regierung sofort die von ihm so sehr gefürchteten Antitrust- und Mediengesetze verabschieden würde.

Mindestens ebenso schwer wiegt für ihn, daß Anfang der Woche bereits einige seiner Parteifreunde – darunter der Fraktionsvorsitzende Vittorio Dotti und der angesehene Minister Giuliano Urbani – hatten wissen lassen, sie könnten sich den Eintritt in eine Regierung auch ohne Berlusconi als deren Chef vorstellen.

Umgekehrt hat sich die Liga Nord, die durch ihren Austritt aus der Koalition die Krise ausgelöst hat, von den gefürchteten Spaltungstendenzen erholt und ist nun geschlossen zumindest gegen sofortige Neuwahlen. Damit ergibt sich eine eindeutige Mehrheit gegen Neuwahlen – was allerdings noch nicht heißt, daß daraus schon eine handlungsfähige Allianz für eine neue Regierung entsteht. Allerdings haben sich die Linksparteien zusammen mit der Liga Nord und der Italienischen Volkspartei inzwischen auf mehrere Namen außerparlamentarischer Kandidaten geeinigt, die sie bei einer Regierungsbildung unterstützen oder zumindest tolerieren würden, darunter den angesehenen Volskwirtschaftsprofessor Mario Monti, den ehemaligen Untersuchungsrichter Antonio Di Pietro und den früheren Staatspräsidenten Francesco Cossiga.

Aufschluß über das weitere Vorgehen erwarten sich die Italiener nun von der Neujahrsansprache, die der Staatspräsident heute halten wird.