: Für den Nazi-Konzern geht es um Milliarden
■ Am 19. Januar wird vor dem Bundesverwaltungsgericht endgültig über die Enteignung der IG Farben entschieden
Nur auf den ersten Blick ist es ein Routinetermin beim Bundesverwaltungsgericht: Am 19. Januar streiten sich das Land Berlin und die Geschäftshaus GmbH i.L. um eine Immobilie in der Leipziger Straße, wo einst ein bekanntes Kaufhaus stand. Doch der höchstrichterliche Spruch hat große Konsequenzen. Schließlich geht es um Milliardenvermögen, das auf Veranlassung der Sowjets nach dem Krieg bis 1949 von Naziaktivisten und Kriegsverbrechern in Berlin eingezogen worden war. Auch Bund und Treuhand warten. Sollte zugunsten der Enteigneten entschieden werden, rollen Millionenforderungen auf Bund, Treuhand und Berlin zu.
Streitpunkt ist die sogenannte Liste 3. Sie erfaßt Enteignungen von mehr als 1.450 Betroffenen – vom Hausbesitzer, Fleischer, Friseur bis zu Banken, Kaufhausketten und Großkonzernen. In dem Verzeichnis taucht mehrmals die nach dem Krieg zerschlagene und immer noch um frühere Ost-Immobilien ringende I.G. Farbenindustrie AG in Abwicklung (Frankfurt/Main) auf. Allein sie beansprucht in Berlin nach Aussagen des IG-Farben-Liquidators Günter Vollmann Grundstücke im Umfang von rund 160.000 Quadratmetern. Aber auch andere prominente und noch „lebende“ Konzerne ringen um Areale.
Laut Einigungsvertrag dürfen Enteignungen aufgrund von Anordnungen der sowjetischen Besatzungsmacht nicht rückgängig gemacht werden. Die Frage ist nun, ob auch die der „Liste 3“ unter diesen Passus fallen. Grund: Die Liste wurde erst am 2. Dezember 1949 im Verordnungsblatt für Groß-Berlin veröffentlicht – und damit wirksam. Das sind 46 Tage nach Gründung der DDR am 7.Oktober 1949. Und um diese knapp zwei Monate geht es letztlich.
IG Farben und Co. argumentieren, daß „Listenfälle“ keine besatzungsrechtliche oder besatzungshoheitliche Enteignungen seien. Es habe auch eine ausdrückliche Zustimmung der Sowjetunion gefehlt, sagte IG-Farben-Liquidator Vollmann vor Aktionären Ende August. Andere haben alte Dokumente durchforstet, um nachzuweisen, daß der damalige Stadtkommandant nicht alle Enteignungen per Unterschrift abgesegnet habe.
Das Land Berlin sieht das anders. „Liste 3“ zeuge von Beschlagnahmungen durch Besatzungsmächte lange vor der Veröffentlichung. Listenenteignungen dürften also entsprechend der Regelungen im Einigungsvertrag nicht mehr rückgängig gemacht werden. Auch andere meinen, die damaligen Vorgänge könnten nicht an der heutigen detaillierten Verwaltungs- und Rechtsmentalität gemessen werden.
Es geht um viel Geld. Experten schätzen das umstrittene Vermögen auf bis zu 40 Milliarden Mark. Die Bundesverwaltungsrichter müssen nun beurteilen, ob „Liste-3“-Enteignungen rückgängig gemacht oder „nur“ entschädigt werden. Kammern des Berliner Verwaltungsgerichts hatten zuvor unterschiedlich entschieden. Für eine Kammer beruhten „Liste-3“- Enteignungen nicht auf Besatzungsrecht. Eine andere gab dem Land recht, verlangte aber Einzelfallprüfungen. Andre Stahl
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