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„Wärmflasche statt Gespräch“

■ Zwei sexuell mißbrauchte Frauen kämpfen um die Dr.-Heines-Station

Bei Dr. Heines, der Oberneulander Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, soll die B 4 aufgelöst werden. B 4 ist eine Frauenstation, die sich auf die stationäre Behandlung von Frauen mit sexueller Gewalterfahrung spezialisiert hat. Das Stationsteam hat dringend mehr Personal gefordert, weil der Betreuungsbedarf auf der Station so hoch ist. Die Klinikleitung sieht keine Möglichkeit, dem zu entsprechen, und verweist auf die Krankenkassen. Die Station wird von allen Seiten begrüßt, die Klinik sieht sich aber außerstande, das Projekt mit 26 Therapieplätzen am Leben zu halten. (vgl. taz vom 11.1.). Ruth O. (27) und Uta W. (36) sind Patientinnen der Station B 4 (Namen geändert).

Sie waren beide schon in ambulanter Behandlung? Warum ging das nicht mehr?

Uta W.: Man schafft den Alltag nicht. Irgendwann kommt man dahin, daß der Punkt aufgedeckt wird. Alles hängt damit zusammen. Das Eßverhalten, das Waschverhalten, Kontakt mit anderen Menschen, selbst den Kaffeeklatsch hält man nicht mehr aus. Man kann nicht mehr einkaufen, zur Arbeit gehen, man kann nicht mehr Fahrrad fahren. Man wird körperlich schwächer und schwächer, bis dann kaum noch irgendwas geht. Deswegen will man auf Station.

Wollten Sie unbedingt zu Dr. Heines?

Ruth O.: Bei Heines kommst du sofort rein, das ist ganz wichtig. Acht Monate muß man in Bielefeld warten. Das ist doch absurd.

Uta W.: Ich wollte unbedingt auf die Frauenstation, weil ich weiß, was da hochkommen kann, wenn man Therapie macht. Und wenn dann so ein männliches Objekt, ein Auslöser der ganzen Geschichte, vor einem steht, vielleicht sogar noch der Therapeut ist – das ist nicht machbar. Ich muß mich ja nicht selber auch noch wiederverletzen.

Das würde bei einem Therapeuten passieren?

Uta W.: Wenn ich wieder einen Alptraum hatte, und ich geh zum Frühstück, dann sitz ich da schon mit Wärmflasche, weil ich tierische Unterleibsschmerzen hatte, weil es nochmal in mir abgelaufen ist, wie mein Vater mich sexuell mißbraucht hat. Und dann spürt man das immer noch nach, denn als Zwölfjährige konnte man das nicht. Und dann sitzt man da und quält sich nen Kaffee rein – wenn dann da ein Mann sitzen würde, ich würde vollends zusammenbrechen.

Auf der Frauenstation fühlen Sie sich geschützt?

Ruth O.: Wir haben überlegt, wie man sowas überhaupt erklären kann. Und wir waren uns einig, daß jemand, der das nicht erlebt hat, nicht versteht, warum die Therapie für uns anders sein muß, und wie wir uns überhaupt fühlen. Wir haben uns überlegt, es wäre das Gleiche, wenn man auf die Straße geht...

Uta W.: Sie als Kind.

Ruth O.:... und es kommt ein Autofahrer und überfährt Sie mit voller Absicht.

Uta W.: Sie fallen in Ohnmacht, wachen im Krankenhaus wieder auf, wissen gar nicht, was passiert ist, und haben überall Wunden, Knochenbrüche, Nierenquetschung. Magenblutung. Leberrisse. Gehirnverletzung. Alles.

Ruth O.: Und dann müssen Sie die Angst vor Autofahrern abbauen. Sie würden in kein Auto einsteigen, und Sie würden in keine Klinik gehen, die an einer Autostraße liegt. So ähnlich ist das bei uns mit Männern. Mit dem Unterschied, daß unsere Erfahrungen sehr weit zurückliegen. Ich selbst wußte ja gar nicht, daß es das ist. Mit diesem Wiederrauskramen kommen die ganzen Ängste und diese ganzen Gefühle wieder hoch. Um mich überhaupt zu fühlen, mir das zu erlauben, daß ich jetzt fühle, dazu brauche ich einen geschützten Rahmen. Sonst würde ich – wie bisher – sagen, ich fühle nichts. Ihr könnt mir tun, was ihr wollt, aber ich fühl nichts.

Damit sind Sie dann auf der B 4 nicht alleine.

Ruth O.: Ja, das ist ganz wichtig. Es sind ja auch mehrere mit sexueller Gewalterfahrung da. Plötzlich sagen da zwei andere, hey, ich kann dich verstehen.

Die Frauenstation soll aufgelöst werden, weil es an Personal mangelt. Gab es denn Momente, in denen niemand für Sie da war?

Ruth O.: O ja. Es ist zum Beispiel oft genug so, daß man ins Stationszimmer will, aber leider ist die Tür schon zu, und jemand anders ist drin. Statt daß man dann dieses Gespräch bekommt, muß man sich ne Wärmflasche machen und das nochmal runterschlucken. Man weiß auch nicht, wann es das nächste Mal hochkommt. Vielleicht dauert das drei Wochen, vielleicht bin ich dann so enttäuscht, daß ich das erst in einem Jahr wieder zulassen kann. Mir wird da ja auch ein Therapieerfolg verbaut...

... weil nur eine Therapeutin da ist?

Ruth O.: Ja, ne Therapeutin ja schon gar nicht, sondern nur ne Schwester...

... weil es Nacht ist?

Ruth O.: Nein, weil's immer so ist.

Uta W.: Da sind die festen Therapiezeiten, die Gruppengespräche. Einzelgespräche, die wir dringend bräuchten, können kaum gegeben werden, weil die Therapeutinnen maßlos überlastet sind. Die sind doch alle selbst krank geworden. Die müssen doch auch mal in Urlaub. Da werden die Gruppen dann größer, man hat gerade ein paar Minuten zum Reden, ständig fällt was aus. Das war aber immer noch besser, als das sogenannte Umwandeln jetzt.

Ist jetzt schon Umbruchstimmung?

Ruth O.: Ja, es werden mit Absicht keine mehr aufgenommen, die mit diesem Thema zu tun haben. Die wollen uns mundtot machen. Diejenigen, die sich für die Station eingesetzt haben, sollen jetzt erst mal raus.

Sie beide gehen auch bald. Mit welchem Gefühl?

Uta W.: Ich bin endlich in der Lage, existenz- und beziehungsfähig zu sein. Endlich. Da haben die Therapeutinnen viel geleistet mit den Partnergesprächen. Wäre ich nicht hier gewesen, wäre ich magersüchtig geworden, das weiß ich.

Ruth O.: Man wird wieder nicht ernst genommen. Das ist ziemlich schrecklich.

Gespräch: Silvia Plahl

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