■ Interview über die Zukunft der US-Demokratischen Partei
: „Die Leute spüren den Zeitenbruch“

Robert Borosage ist Forschungsstipendiat am „Institute For Policy Studies“, einem linken „think tank“ in Washington, sowe Gründer der „Campaign for New Priorities“, eines Instituts, das sich vor allem mit der Umverteilung von Rüstungsausgaben auf den Zivilsektor befaßt.

taz: Vor zwei Jahren noch hatte man den Republikanern nach der Niederlage von George Bush die große Identitätskrise und Zerreißpobe zwischen der christlichen Rechten und moderateren Fraktionen prophezeit. Jetzt erscheint die Partei geschlossener denn je. Welche Philosphie macht sie derzeit so erfolgreich?

Robert Borosage: Grundsätzlich basiert der „Vertrag mit Amerika“, den die Republikaner formuliert haben, auf folgender Message an die Wähler: „Leute, ihr befindet euch in einer globalen Ökonomie, in der Kapital keine Grenzen mehr kennt, in der neue Technologien den Arbeitsmarkt umkrempeln und der Übergang ins Informationszeitalter vollzogen wird. Der Staat kann euch da nicht helfen. Euer Sicherheitsnetz müßt ihr euch allein aufbauen. Aber wenn wir die Macht haben, kriegt ihr wenigstens etwas von eurem Geld zurück...“

...in Form einer – allerdings mickrigen – Steuersenkung für die Mittelschicht, wie sie im „Vertrag“ versprochen wurde...

Genau. Das ist in einem konservativen Land wie den USA vor allem für jene 39 Prozent der Bevölkerung, nämlich weiße Männer, attraktiv, die zunehmend Besitzstandsängste haben. Clinton hingegen hat in diesem letzten Wahlkampf eine katastrophale Strategie eingeschlagen, indem er den Leuten erklärte: „Eure Lebenssituation ist besser geworden, ihr habt es nur noch nicht gemerkt. Schaut euch doch mal richtig um!“ Das ist nicht gerade sehr ansprechend für Leute, deren Einkommen stagniert oder sinkt, die Angst haben und frustriert sind.

Liegt Clintons Problem nicht auch darin, daß seine Imagekreation eines „New Democrat“, der sowohl die linke Klientel wie auch die eher konservative Mittelschicht in den Suburbs bedienen kann, sowieso illusorisch war?

Nein. Ich glaube, man kann all diese liberalen und progressiven Kämpfe für Bürgerrechte, Umweltschutz und ethnische Minderheiten weitgehend unbeschadet ausfechten – vorausgesetzt, man bleibt ein Anwalt der ökonomischen Interessen der Mittelschicht. Das heißt: Man kämpft für bessere Löhne, für soziale Absicherung. Diese Priorität aber hat Clinton durch die Bekämpfung des Haushaltsdefizits ersetzt. Schlimmer noch: Er hat für die Notwendigkeit staatlicher Interventionen in die Ökonomie argumentiert – aber dann kein Geld in die entsprechenden Programme reingesteckt. Übrig bleibt dann in den Augen weißer Arbeitnehmer das Image eines Liberalen, der sich für Homosexuelle einsetzt, mit dem Feminismus liebäugelt und den Armen Steuergelder hinterherschmeißt...

Clintons zweites großes Problem ist, daß er irgendwann die historische Bedeutung seiner Präsidentschaft aus den Augen verloren hat. Nach dem Ende des Kalten Krieges haben die Leute ja ein Gespür dafür, daß sie sich in einer historisch bedeutsamen Umbruchphase befinden. Clinton ist statt dessen in den Augen der Amerikaner zu einem ganz gewöhnlichen Politiker, verstrickt in ganz gewöhnliche Machtkonflikte, geworden. Der einzige, dessen Rhetorik jetzt dieses Gefühl historischer Bedeutsamkeit und des Aufbruchs in eine neue Ära transportiert, ist Newt Gingrich.

Nun erklären auch führende Demokraten die Wahlniederlage vom letzten November zum Todesstoß für die Philosophie des New Deal, des Liberalismus...

Die reden schon seit Jahrzehnten so daher. Mit den Wahlen vom letzten November wurde nicht der Liberalismus zu Grabe getragen, sondern der Konservativismus innerhalb der Demokratischen Partei. Keiner dieser konservativen Demokraten ist gewählt worden.

Sie sehen also eine neue Phase liberaler Politik voraus?

Die Republikaner werden sehr bald erkennen müssen, daß die Leute sich nicht mit der Auskunft zufriedengeben, wonach in dieser globalen Ökonomie jeder auf sich allein gestellt ist. Schon gar nicht in dieser prekären Phase. Im Gegensatz zu den westeuropäischen Industrienationen haben wir uns in den USA ja immer darauf verlassen, daß die Unternehmer freiwillig Krankenversicherung, akzeptable Löhne und Pensionen anbieten – also eine Art Sozialvertrag einhalten. Dieser Vertrag wird von Unternehmerseite gerade aufgekündigt: Löhne stagnieren, Krankenversicherung wird gestrichen und Pensionen sind nicht mehr abgesichert. Da klingt das Versprechen einer Steuersenkung, kombiniert mit der Wut auf den Staat, erst einmal ganz gut, aber mittelfristig werden die Leute, wird die Mittelschicht fragen: „Wer hilft mir aus diesem Schlamassel?“ Und die Antwort, die sie sich selbst geben werden, lautet: „Der Staat.“ Die große Frage lautet: Mit welchem Programm kann man den Leuten helfen, die von den Wandlungsprozessen durch Technologie und Globalisierung der Ökonomie betroffen sind?

Für die USA ist die Frage leichter zu beantworten als für die westeuropäischen Länder. Die USA haben nie das staatliche Sozialnetz aufgebaut, das in Westeuropa gerade unter ökonomischen und politischen Druck gerät. Ergo muß sich ein Handlungsprogramm der US-Demokraten auf Themen wie Krankenversicherung, bezahlter Elternurlaub, gesicherte Renten konzentrieren. Und ich bin überzeugt, daß diese Punkte auch politisch wieder „salonfähig“ werden. Der zweite Schwerpunkt betrifft genau das, was Clinton in seinem Wahlprogramm in den Vordergrund gestellt hatte: Investitionen in die Infrastruktur, in Aus- und Fortbildung der Jugend und der Arbeitnehmer. Diese Debatte können die Demokraten gewinnen, wenn sie zu ihr zurückfinden.

Sie haben in mehreren Kommentaren Clinton empfohlen, sich politisch nach links zu orientieren. Dazu braucht es aber auch eine Linke, die ihn in Bewegung setzen könnte. Ist dies die Phase, in der soziale Bewegungen zu einer Domäne der Rechten geworden sind?

Ich glaube, der Vormarsch der Republikaner wird ziemlich bald progressive Gruppen hochschrecken und aktivieren. Wir werden ein Revival auf dem Gebiet des Umweltschutzes, der Bürgerrechte, der Frauenbewegung, der Schwulen- und Lesbenbewegung erleben. Nur werden all diese Bewegungen und Kämpfe nichts an dem grundlegenden Problem ändern: der ökonomischen Situation von Arbeitnehmern. Alle progressiven sozialen Bewegungen der sechziger und siebziger Jahre haben unter der Grundvoraussetzung operiert, daß wir uns in einer Wachstumsökonomie befinden, die der Mittelschicht einen abgesicherten Lebensstandard bietet. Das gilt nicht mehr. Wir müssen also das Thema der Debatte völlig neu formulieren. Es geht nicht mehr nur darum, Rechte von Minderheiten durchzusetzen. Wir haben diese Gesellschaft massiv verändert. Jetzt geht es um wirtschaftliche Absicherung. Und um diesen Kampf auszufechten, sind wir in den USA viel schlechter vorbereitet als in Westeuropa: Unsere Gewerkschaften sind schwach; Intellektuelle spielen eine viel zu geringe Rolle; die verschiedenen progressiven Organisationen haben sich bislang damit kaum beschäftigt. Das Traurige ist: Dieser Präsident hätte – trotz all seiner Schwächen – diesen neuen Diskussionsrahmen setzen können. Aber da hat er versagt. Interview: Andrea Böhm