: Ein Fußballfan ist selten allein
■ Italiens Männerwelt fand gestern schnell Ersatz für das ausgefallene Sportvergnügen
Rom (taz) – Unmittelbar nach der Verkündung fand Elio Pressan (55) die Sache „eigentlich gar nicht so schlimm“ – „im Gegenteil: Irgendwas mußte ja endlich geschehen“. Sein Vereinsfreund Romolo sah es ähnlich: „Den Leuten muß klar werden, daß das so nicht geht.“ Und Giulio, der Platzwart vom „AC Borgo Hermada“, war „einmal richtig froh, daß diese Holzköpfe einmal sehen, was sie anstellen“. Das war Mitte der vergangenen Woche, als die nationalen Sportverbände Italiens sämtliche Veranstaltungen ihrer Clubs für den gestrigen Sonntag untersagten. Grund war die Ermordung eines Genueser „Tifoso“ durch einen Mailänder Fan am Sonntag davor.
Mit dem Fortschreiten der Woche allerdings wurde es Elio, Romolo, Raffaele und Millionen anderer allsonntäglicher Stadienbesucher doch etwas mulmig. Denn: Was nun anfangen mit dem freien Sonntag? Der zunächst erwogene Ausweg, sich doch wie auch sonst zunächst vor der „Bar dello sport“ zu versammeln und zumindest über Sporttheroetisches zu klatschen, schlug fehl: Der Bareigner hatte angekündigt, seinen Betrieb erst gar nicht zu öffnen — „keine Lust, daß da irgendwer seinen Frust in meinem Lokal austrägt“. Auch keine Radtour kam zustande: Allzu lange des Sattels ungewohnt, wollte man keine geröteten Hinterteile riskieren. Und eher unter Kuriosa abgelegt wurde der Gedanke eines im Fernsehen gezeigten Fans, der sich vorgenommen hatte, am Sonntag „mal wieder ein Buch zu lesen“.
So richtete sich denn das Augenmerk unversehens nach innen. Verschreckt nahmen Frauen schon tags zuvor ungewohnte Zärtlichkeit wahr – und in der Tat meldeten Straßenpolizisten am Sonntag morgen, „so viele Kinder wie selten um diese frühe Zeit auf der Straße“. Ein Kommentator von „Rai-Tre“ vermutete bereits einen nahenden Babyboom – „wie vor zwanzig Jahren, als mal am frühen Abend für drei Stunden im ganzen Land der Strom ausfiel“. Zum Ausgleich, auch da legen Stadtpolizisten Zeugnis ab, wurden die Männer gestern „danach“ zu Hunderten in die Kirche mitgeschleppt.
Bleibt die Frage, was die sonst vom sonntäglichen Stadiengeschrei geradezu lebende Männerwelt dann eigentlich noch am Nachmittag des sportfreien Tages anstellte. „Am Ende“, behauptet Elio resigniert, „haben wir jetzt doch tatsächlich darüber diskutiert, was wir selber tun können, daß derlei Dinge wie dieser furchtbare Mord nicht mehr vorkommen.“ Werner Raith
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