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Das positive Off-off-Programm

■ CD-Rom killed the Video-Star oder: Wenn aus Neuen Medien alte Hüte werden - Ein Gespräch über technologischen Fortschritt und die Liebe zum Spezialprogramm, mit Micky Kwella und Knut Gerwers,...

taz : Das VideoFest ‘95 zeigt Blöcke, die sich mit Rechtsradikalismus oder Frauenidentität beschäftigen. Ergeben sich diese Themen während der Auswahl oder werden sie vorher festgelegt und dann durch entsprechende Videos belegt?

Micky Kwella: Wir gehen sozusagen ohne Anspruch an die fast 1.000 Bänder ran, gucken sie bis zum Ende durch, geben zwischendurch mal in den Computer ein, was fraglich ist und was wir ablehnen, was ins Hauptprogramm kommt oder auf der Nightflight- Schiene laufen soll. Daraus ergeben sich Programmstrukturen.

Jon Alpert wird auf der Berlinale gezeigt, das VideoFest widmet ihm einen Abend. Zugleich laufen Filme wie „Monty Python in Sarajewo“, der als Video gedreht wurde, im Forum. Werden diese Überschneidungen mit dem Festival abgesprochen?

Kwella: Wir haben in diesem Jahr zum ersten Mal nichts mehr miteinander abgesprochen. Ich denke, das ist auch nicht mehr nötig. Bisher riefen die vom Panorama an und fragten ganz aufgeregt: Wir haben jetzt diesen Film, und ihr zeigt den auch. Und wir haben geantwortet: Okay, aber laßt ihn uns bitte vor euch zeigen, weil ihr die größere Publicity habt. Es hat sich gezeigt, daß diese Überlegung gar keine Rolle spielt.

Gerwers: Gerade mit dem Panorama haben wir keine Probleme. Wieland Speck hat überhaupt nichts gegen Videos, er hat ja selbst welche gemacht. Eher hängt das von den Videomachern ab. Manche schicken ihr Material nur zum VideoFest, andere wollen die Filme auch im Forum zeigen, weil da ein größerer PR-Rummel stattfindet und mehr Leute hinkommen.

Wie groß ist die Streuung? Gibt es wie in der Kunst eine Entdeckung der Randregionen?

Kwella: Konkret kann ich etwas zu Lateinamerika sagen: Da gibt es tatsächlich keine nationale Filmkultur mehr, das orientiert sich alles an Amerika und im Bereich der Fernsehproduktionen an Brasilien. Deshalb gibt es ungeheuer viele Leute, die auf Video drehen, jüngere Leute, die die Zeit der Diktatur aufarbeiten, obwohl die schon zehn Jahre zurückliegt. Aber danach ist der Komplex einfach totgeschwiegen worden.

Wie groß ist das Angebot aus der Dritten Welt?

Kwella: Vielleicht ein Viertel der Filme stammen aus der Dritten Welt.

Gerwers: Bis vor zwei Jahren konntest du auch die Ostblockländer zur „Dritten Videowelt“ hinzuzählen. Oder Portugal, oder Spanien. Im letzten Jahr haben wir zum ersten Mal Material aus Rumänien bekommen, sofort zeigenswerte Sachen, was nicht selbstverständlich ist, weil die einen Nachholbedarf haben und erst jetzt Entwicklungen durchlaufen, die wir Ende der siebziger Jahre hatten.

Was gibt es außer Diktaturbewältigung noch an Tendenzen?

Kwella: Wenn bestimmte Regionen anfangen mit Video zu arbeiten, dann gibt es meist zwei Formen: Die schmutzige Dokumentation – in positiven Anführungszeichen als Off-Off vom Fernsehen. Man will Sachen zeigen, wie sie wirklich sind. Und dann werden reine Spielfilme gedreht, weil es in diesen Ländern zumeist keine funktionierende Industrie gibt. Wenn sich die Kultur weiterentwickelt hat und mehr Gerät verfügbar ist, kommt die experimentell-künstlerische Phase. Das geschieht in der Regel auf inhaltliche oder formale Weise, weil noch Trickmischer fehlen. Wenn diese Spezialtechniken erst einmal zur Verfügung stehen, entstehen oft ganz fürchterliche Arbeiten. Die Kreativität ist futsch, man sitzt an den Hebeln und läßt sich von den Geräten faszinieren.

Wo wir von Entwicklungen sprechen: Warum gibt es noch immer kein festes Forum für Videos?

Gerwers: Das ist ja mein großer Ärger, ich mache seit fast zwei Jahren jede Woche in der Volksbühne ein Videoprogramm, aber offenbar bekommt das keiner mit. Wir haben angefangen, als Castorf die Volksbühne übernahm. Damals sollten Videos gezeigt werden, um das Haus über Medien zu neuem Leben erwecken, was ja auch ansonsten gut gelungen ist. Aber es ist hart, ein ständiges Publikum zu finden, weil die Zeitungen mit ihrer Berichterstattung nicht gerade unterstützend sind.

Kwella: Das ist ein Circulus vitiosus: Es gibt keine Abspielstätten, weil die Bänder zu teuer sind, was schon gegen alle marktwirtschaftlichen Regeln ist. Billigere Bänder würden vermutlich auch mehr ausgeliehen werden. Dann fehlt die Auseinandersetzung mit Video, weil eine Schule des Sehens fehlt. Wie man Filme sieht, interpretiert und auch darüber schreibt, kann man aus Büchern lernen. Wenn ich aber in meinen Seminaren konkrete Videoanalyse mache, stehen die Studenten vor den Kunstbändern und merken plötzlich, daß Video kein lineares Medium ist, sondern absolut assoziativ funktioniert.

Gerwers: Am besten hast du Namen, an denen sich das Publikum orientieren kann. So wie Off- Kinos immer wieder Jim Jarmush zeigen. Da mußt du im Video-Bereich schon mit Godard oder Peter Greenaway kommen. Und das sind Größen, die über den Film bekannt geworden sind.

Auch zahlreiche Off-Spielfilme existieren nur im Videoverleih. Fehlt euch da der künstlerische Anspruch?

Kwella: Rein theoretisch könnten wir uns vorstellen, auch so etwas zu präsentieren. Aber das kollidiert mit anderen Dingen. Wir haben den Anspruch, unabhängig gemachtes Video zu zeigen. Wobei wir davon bei bestimmten Produktionen abweichen, die zwar wegen des Geldes gemacht worden sind, aber noch formal der Videokunst entsprechen; in Greenaways Filmen steckt beispielsweise ungeheuer viel Geld. Aber wenn er formal gut und anders als Film und Fernsehen ist, geht das in Ordnung. Beim Fernsehen nehmen wir ungewöhnliche Filme wie die von Gert Monheim, weil wir es gut finden, daß jemand im deutschen Fernsehen noch so mutig und politisch arbeitet.

Das ist doch erstaunlich, solche Kriterien aufrechtzuhalten. Ihr trennt das Produkt vom Markt, der offensichtlich kommerziell funktioniert?

Gerwers: Die Grenzen haben sich auch hier aufgelöst. Wir zeigen einerseits Fernsehen und dann aber „anderes“ Fernsehen: wenn wir etwa das Magazin Zak vorstellen, das man zwar auch in der ARD oder auf arte sehen kann, aber im Festival-Rahmen werden ganz andere Berührungspunkte geschaffen. Wir hätten es ja auch gerne, wenn der Einfluß von Video auf das Fernsehen nicht immer dann aufhört, wenn der Jingle zu Ende ist.

Kwella: Da hätte das öffentlich- rechtliche Fernsehen eine Chance gegenüber privaten Anbietern: Man könnte ihnen den Kommerz überlassen und unabhängig vom Rating Fernsehkultur machen.

Schon am ersten Veranstaltungstag taucht „Zukunft“ im Programm auf. Die technische Moderne ist noch immer ein Steckenpferd des Festivals?

Kwella: Das liegt unter anderem im Umgang mit dem Medium überhaupt. Video war ein revolutionäres Medium, einmal wegen der Demokratisierung und wegen der Fülle von technischen Möglichkeiten. Jetzt sehen wir, wie sich elektronische Kunst und Kommunikation weiterentwickeln. Auf diesem Gebiet gibt es neue Formen des Dokumentarismus, etwa durch CD-ROM; es gibt neue Kunst, das InterNet, und da werden wir unser Augenmerk draufhaben — auch, weil Video sich möglicherweise in fünf Jahren erledigt haben wird.

Gerwers: Wir stellen uns zumindest darauf ein.

Bleibt also der technikbegeisterte Medien-Freak, der vom Video kommt und nun auf neue Medien umsteigt?

Kwella: Nee, nee, also eigentlich interessiert mich überhaupt nicht, ob das nun CD-ROM oder Internet ist. Spannend dabei ist allein, welche neuen medialen Ausdrucksmittel entstehen. Und wie plötzlich Bilder anders gestaltet werden.

Bei CD-ROM ist der technische Fortschritt an Herstellerfirmen gebunden. Wie reagieren die Künstler, die ihr ausgewählt habt, auf diese Entwicklung?

Kwella: Mit riesiger Faszination. Ich sitze selber zum Teil mit einer kindlichen Freude da und sehe mir auf CD-ROM an, wie ich plötzlich mit Tönen, Texten, Fotos und Computeranimation arbeiten kann. Alle Medien, die nebeneinander existiert haben, kannst du spielerisch in ein Medium hineinpacken.

Mir ist dabei nicht ganz klar, wie ein künstlerischer Austausch zustande kommt. Video ist eine Frage des Sehens, Internet stellt nur eine Struktur als Arbeitsgrundlage zur Verfügung.

Kwella: Ich bin sehr gespannt auf die Diskussion, die in diesem Zusammenhang entstehen wird. Deswegen haben wir gleich am ersten Wochenende auch Veranstaltungen, wo nichts gezeigt, sondern öffentlich diskutiert wird. Es ist ja auch die Frage der Vereinzelung, die damit einhergeht. Ich sitze allein an Computer oder CD-ROM; und auch zu zweit befindet man sich in einer komischen Kommunikationssituation. Beide starren auf den Bildschirm, klicken sich durchs Programm, sagen: „Mach mal das!“, aber sie reden kaum noch miteinander. Sie reden über den Monitor. Interview: Harald Fricke

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