■ Dokumentation: Zum Umgang mit der PDS: Masochistische Inferioritäten
1. Das von der Führung aufgeführte Märchenspiel „Antistalinismus als Schneewittchengeschichte“ ist auf dem PDS-Parteitag nur knapp an einer Katastrophe vorbeigeschrammt. Medienmäßig ist die Inszenierung gerade im Hinblick auf Grüne und SPD jedoch geglückt. Statt über Politik zu streiten, droht in den kommenden Wochen eine Metadiskussion, bei der vor allem das Bekenntnis zählt: Wie hältst du es mit der PDS? Möchtest du mit ihr koalieren?
2. Ausgeblendet wird bei dieser Fragestellung, ob der ausgerufene Bräutigam überhaupt heiratswillig und -fähig ist. Damit wäre das Kalkül der PDS-Führung aufgegangen. Dieses lautet schlicht: Wir wollen regieren, ohne den strategischen Streit zwischen den unvereinbar neben- und gegeneinander stehenden Optionen innerhalb der Vielparteienorganisation PDS zu entscheiden. Deshalb wurde ebenso symbolisch wie menschlich widerwärtig die Ulbricht-Nostalgikerin Sahra Wagenknecht zur stalinistischen Gefahr in der Rüschenbluse hochstilisiert. Dabei wurde auf klassisch „realsozialistische“ Politikmethoden zurückgegriffen und durch Personalisieren auf eine Unperson politischer Streit vorgegaukelt.
3. Der strategische Konflikt zwischen DDR-Nostalgikern, die die PDS als Bund der Heimatlosen und Entrechteten irgendwo zwischen Standesvertretung und Trachtenverein angesiedelt sehen wollen, den büro(demo)kratischen Technokraten, die um einen Platz unter den Eliten des neuen Systems buhlen, sowie den antistaatlichen Fundis aus der Erbmasse des westdeutschen Linkssektierertums, mit ihrer Ablehnung jeglicher Regierungsbeteiligung, darf von der PDS zur Zeit auf keinen Fall entschieden werden. Es würde ihre Existenz gefährden. Zuvor muß es ihr gelingen, einen eigenen Platz im gesamtdeutschen Parteiensystem zu finden und sich oberhalb der Fünfprozenthürde abzusichern. Ähnlich den frühen Grünen handelt es sich bei ihr weniger um eine Bewegung oder eine Partei als um ein Zweckbündnis zur Erlangung von Parlamentssitzen.
4. Dafür muß die PDS den Osten halten und den Westen erobern; den kann sie nur mit einer Politik „weit links von SPD und Grünen“ (Winfried Wolf) erreichen. Im Osten aber führt bei Ergebnissen um die 20 Prozent kein Weg daran vorbei, wenigstens die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung zu demonstrieren. Vielfach wird munter (mit)regiert, in Hoyerswerda und anderswo. Opposition ist dort schon lange zur bernsteinschen Sonntagsphrase verkommen.
5. Mit den genannten politischen Optionen ist die PDS zur Zeit nicht koalitionsfähig, weil sie es nicht sein will. Sie ist es nach dem letzten Parteitag eher weniger als vorher. Von Bündnis 90/Die Grünen sollte vermieden werden, einen anderen Eindruck zu erwecken und den Zustand der PDS damit schönzureden. Der Parteitag war eine Niederlage der Erneuerer. Gysi und Bisky, eher Improvisierer denn Reformatoren, haben lediglich eine weitere Pirouette unter dem Titel Erneuerung gedreht, damit in der PDS alles so bleiben kann wie es ist.
6. Die neu geltende taktische Linie lautet Tolerierung von Rot- Grün plus Westausdehnung. Grünen kann eine solche Entwicklung nicht gleichgültig sein. Bei den letzten Bundestagswahlen hat Bündnis 90/Die Grünen im Osten – so infas – netto am meisten, nämlich 76.000 WählerInnen, an die PDS (67.000 an die SPD und 64.000 an die NichtwählerInnen) abgegeben. Auch im Westen verloren Grüne netto 33.000 Stimmen an die PDS.
7. Wie die Bremer Stadtmusikanten raunen sich die PDSler heute zu: „Etwas Besseres als den Tod finden wir überall“ und machen sich mit viel Geld auf, in die bremische Bürgerschaft einzuziehen. Zwar dürften sie den Stadtmusikanten gleich dort nie ankommen. Der PDS droht das Schicksal der dortigen Alternativen Liste in der damaligen Konkurrenz mit der Bremer Grünen Liste. Angesichts der anhaltenden Krise inklusive einer Rechtsabspaltung der Bremer SPD könnten jedoch die durch die PDS verlorengehenden Stimmen zur Folge haben, daß Grüne die Verluste der SPD nicht ausgleichen können. Die dringend notwendige Ablösung der gescheiterten Ampel durch Rot-Grün fände nicht statt. Wieder einmal hätte die PDS dafür gesorgt, daß es eine große Koalition gibt. Bündnis 90/ Die Grünen werden in den kommenden Wochen neben einer selbstbewußten Darstellung ihrer Leistungen in der Koalition massiv darauf hinweisen müssen, daß, wer PDS wählt, der CDU an die Regierung verhilft. Glaubwürdig wird dies nur gelingen, wenn mit der Eierei in Sachen Schwarz-Grün Schluß gemacht wird – auch auf kommunaler Ebene.
8. Der wirkliche Test auf die Erfolgsträchtigkeit der Westambitionen findet jedoch zur Abgeordnetenhauswahl in Berlin statt. Gelingt es der PDS dabei, drittstärkste Partei zu werden und ernsthafte Einbrüche in Hochburgen der Grünen zu erzielen, wird dies das Signal für andere städtische Zentren Westdeutschlands werden. Klar ist, daß mit einer starken PDS die große Koalition weiterregieren wird. Dem Argument, der nützliche Idiot einer großen Koalition zu sein, wird die PDS jedoch mit dem Hinweis auf ihre Bereitschaft zu einer Tolerierung von Rot-Grün nur bedingt begegnen können. Zum Tolerieren gehören mindestens zwei. Daß sich die SPD ausgerechnet in der Reichshauptstadt darauf einläßt, kann getrost ausgeschlossen werden. Der ideelle PDS- Wähler leidet gerne und saugt gierig Honig daraus, wenn seine Welt von Wer hat uns verraten – Sozialdemokraten mal wieder aufs grausamste bestätigt wird.
9. Da der Hang zur masochistischen Inferiorität auch unter Grünen anzutreffen ist, gilt es die – für Bremen noch hinreichende – Argumentation von den objektiven Folgen der Wahl der PDS zu ergänzen. In der Wahlaussage zum Berliner Abgeordnetenhaus muß klargestellt sein, in welcher Parteienkonstellation Bündnis 90/Die Grünen welche Inhalte mittels einer ökologisch-sozialen Reformpolitik umsetzen wollen: Rot- Grün. Dazu wollen sie drittstärkste Partei werden. Völlig unaufgeregt sollten sie aber auch klarstellen, daß sie sich auf eine Wackeltolerierung nach dem Prinzip des Rosinenpickens nicht einlassen. Ob dafür eine Koalition oder die Verpflichtung der PDS auf eine Tolerierungszusage über vier Jahre zum Nulltarif der richtige Weg ist, sollte mit dem Berliner Landesvorstand schnell diskutiert werden.
10. Die PDS muß raus aus der Schmuddelecke, sollen die Verhältnisse bei ihr zum Tanzen gebracht werden. Doch wenn man mit ihr spielt, muß man nicht ihre falschen Lieder von der Erneuerung nachsingen. Jürgen Trittin
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