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Lakonie und Alltag

■ Sie hassen Tanztheater und Gitarrenhandel, sind außerdem blutjung: Tocotronic

Viel Vorabwirbel mal wieder bei diesem Debüt: „Digital ist besser“ von Tocotronic, einer poprockenden, deutsch singenden Combo mehr aus Hamburg, der Stadt, die dem Rest der Musikrepublik seit einiger Zeit eine lange Nase zeigt. Die Platte erscheint erst diese Woche, doch schon vorher war es geradezu Sport geworden, mit den paar veröffentlichten Songtiteln sein Gegenüber zu irritieren und zu belustigen – mit trockenen Sätzen, deren Sinngehalt zwischen Schwer und Leer sein Spektrum findet: „Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk“, „Über Sex kann man nur auf englisch singen“ oder, am folgenreichsten, „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“. Ein Wunsch, mittlerweile Slogan-des-Jahres-verdächtig, zu T-Shirt-Ehren gekommen und kommerzialisiert – so rockt man sich in den Vorhof des Hamburger Himmels, ins Vorprogramm von Blumfeld, ins Blickfeld erwartungsfroher Medien; und muß aus dem „Schrott“, den man da angerichtet hat, Gold machen, muß plötzlich Begründungen für sein Tun und Erklärungen für die hingeworfenen Lieder liefern.

Dirk von Lowtzow, 23jähriger Sänger und Gitarrist von Tocotronic, erklärt im Gespräch, der Satz mit der Jugendbewegung sei „einfach gut klingend, und außerdem hatte man früher in der Tat öfters das Begehren, mit ein paar Leuten solidarisch zu sein, sich eine Art Jugendbewegung zu erträumen“.

Dieses besonders, da man zuerst in Städten wie Offenburg [o ja; d. Red.] und Freiburg [oo ja, ooo ja; d. Red.] auf Sinn- und natürlich Spaßsuche war. Aus diesen biographischen Insuffizienzen heraus beginnt das Tocotronic-Album mit „Freiburg“, einem Song über die Stadt, die Tocotronic hassen: ihrer Fahrradwege, ihrer Tanztheater, ihrer gesunden Beschaulichkeit wegen, insbesondere aber, weil Alleinsein vielleicht doch nicht so cool ist wie hier besungen, leider sind wir nicht in Seattle und (noch) nicht in Hamburg. Und, sagt Dirk: „Individualismus – schön und gut, macht aber zu zweit oder dritt viel mehr Spaß, oder?“

Solche Widersprüche führen dann ebenso in die Großstadt wie – auch nicht ganz lebensunwichtig – zu Studienangelegenheiten. Alles, was sonst so an Fragezeichen anfällt, beantwortet die Band sich (wie Dirk das hinterlistig und entwaffnend) zugibt, in Unibibliotheken, wo man beispielsweise die Bücher zu Jugendbewegungen findet und liest: Für schlaue Exegeten, zum Erwidern!

Mehr als der Traum einer gleichgesinnten Gemeinschaft ist „Digital ist besser“ aber ein Album über die Liebe und das Leben. Das ist ja schon alles schwer genug, zumal für den Blick von Frühzwanzigern, deren Grundstimmung, hört man die 18 Songs am Stück, Melancholie ist. Alles klappt „meistens nie“ – was sich aber nicht in Gejammer über den Lauf der Welt Bahn bricht, sondern mit haufenweise Witz und Ironie ausgeglichen wird; „altklug“ findet Dirk sich, wenn er Sachen textet wie „Wer hat das Wochenende erfunden, die ganze Menschheit ist dadurch geschunden, geschunden durch Flohmarktbesuche, geschunden durch den Ausgehzwang, geschunden durch alles, was man machen kann, Samstag ist Selbstmord!“

Noch altklüger fühlt der Mann sich aber auch einem Thomas Bernhard nah, denn „der hat auf die Frage, ob er bei seinen Haßtiraden nicht der unglücklichste Mensch der Welt sein müsse, geantwortet: Nein, ganz im Gegenteil! Woraus folgt: Tocotronic – Bernhard in Pop“.

Lakonie und Alltag schimmern aus jeder Tocotronic-Zeile, Max Goldt läßt grüßen, wenn es um Ideen geht, die gut sind, für die die Welt bloß noch nicht bereit ist; Lieder, die wie die Berliner Schnauze in den Schrebergarten passen, die auch gemein sein können, lieber ein paar Worte weniger verlieren, aber keine Pointe unterdrücken: „Wie wir beide nebeneinander auf dem Teppichboden saßen“ oder „Gitarrenhändler, ihr seid Doofmänner“. Lowtzow: „Versuch mal, als unbedarfter Musiker, der grad so seine drei Akkorde beherrscht, in diesen Läden eine Gitarre zu kaufen: Die zeigen immer nur diese monströsen Dinger, Eddie- van-Halen-mäßig, überzeugen dich armes Schwein natürlich, und am Ende bist du nur gearscht.“ Womit dankenswerterweise der Beruf des Gitarrenhändlers mal in ein kritisches Licht gerückt wird.

Überhaupt ist da ja auch noch die Musik, ein Sound, der in der Tat dieser Spezies von Leuten die Haare zu Berge steigen lassen dürfte. Die Songs klingen... ja nun, da ist das Wort mal wieder: „schräg“ ..., unfertig, so wenig produziert wie möglich; passen aber nicht in die im letzten Jahr populär gewordenen Low-Fi oder Homerecording-Schemata, sondern sind eher als schöne Reminiszenzen an englischen Noise-Pop anno 86 zu hören, sagen wir „Some candy talking“ von The Jesus & Nary Chain oder, wie Dirk ohne Umschweife zugibt, frühe Dinosaur jr.

Und das in Hamburg, wo Ansprüche und Einflüsse mehr in Richtung Degenhardt, Duke Ellington oder Sly And The Family Stone gehen! Da regt so was ganz schön auf, ist juvenil und ungestüm und bewirkt, daß man andere große, weise Männer des Rock 'n' Roll dieses auch erst mal sein läßt: „Vielleicht ist es auch deswegen, warum viele Leute uns so gut finden, denn was uns ausmacht, ohne daß ich damit angeben will, ist der Wagemut, konservativ zu sein; halt ein bißchen zu klingen wie Dino jr., aber auch wieder nicht deren Sound nun bis in den kleinsten Ton nachzustellen, wie das sonst so handelsüblich ist in diesem Land.“

Da haben wir dann zur Abwechslung mal ein jugendliches Rockmodell aus Hamburg! Das sich an jungen Heroen vergreift und nicht auf Einzigartigkeit pocht. Die Band, die man ruhig beim Wort nehmen sollte, ganz ernst- und gewissenhaft, deren Sinn nach Nonsense und Humor jedoch ausgeprägter ist, als daß sie sich gleich vor den Karren einer neuen Jugendkultigkeit spannen lassen wollte. Gerrit Bartels

Tocotronic: „Digital ist besser“. L'Age D'Or.

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