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Kein Platz für Zufälle im Bild der Welt

■ Von der Zerrissenheit eines modernen Ästheten: Eine Retrospektive mit Werken des katholischen Symbolisten Maurice Denis im Kölner Wallraf-Richartz-Museum

Zielgerichtete Wahrnehmung, wissenschaftliche Erkenntnis und Natur als Konstrukt – der rationalistischen Welt zur Jahrhundertwende stand Maurice Denis fremd gegenüber. Nicht anders seine Kollegen der Künstlergruppe „Nabis“, den „Propheten“, zu denen Pierre Bonnard, Edouard Vuillard oder Paul Serusier zählten. Maurice Denis war der Theoretiker innerhalb dieser Gruppe, die in ihrer Malerei der Emotion und Intuition vor den Dingen wieder ihren Platz einräumen wollte. 1890 schrieb er: „Das, was man ein Bild nennt, ist, bevor es ein Schlachtroß, eine nackte Frau oder irgendeine Geschichte zeigt, vor allem eine plane Fläche, bedeckt mit Farben, die in einer bestimmten Ordnung zusammengefügt sind.“

Auf den ersten Blick erstaunt bei solcher Theorie die malerische Umsetzung. Zwei Themen ziehen sich durch das gesamte ×uvre von Denis: sein Engagement für den Katholizismus (etwa auf „Mystische Ernte“ oder „Katholisches Mysterium“) und die Liebe zu Frauen („Mädchen bei der Lampe“, „Mädchen, die Engeln gleichen“, „Die Prinzessin im Turm“) – sinnlich und spirituell. Seine Quellen sind das Christentum und die Antike.

Schon als Fünfzehnjähriger beschließt Denis, „christlicher Maler“ zu werden. Ausschlaggebend sind für ihn die Arbeiten Fra Angelicos, die er im Louvre bewundert. Als seine künstlerische Karriere 1890 beginnt, steht die europäische Avantgarde an einem Krisen- und Wendepunkt: Van Gogh war gestorben, Gaugin nach Tahiti abgereist. In einer Wendung gegen den Naturalismus ließ sich Denis – ebenso wie seine Nabis-Freunde – durch die Renaissance und die japanische Malerei inspirieren.

Bereits beim Betreten der Ausstellung im Wallraf-Richartz-Museum in Köln bemerkt der Besucher den Widerspruch zwischen dem Verfechter der modernen Malerei und seiner dekorativen malerischen Praxis. Der Zyklus „Die Hubertusjagd“, den Maurice Denis für das Arbeitszimmer des Baron Denys Cochin in der Pariser Rue Babylon schuf, entstand nach den Ideen und brieflich geäußerten Vorstellungen des Auftraggebers.

Die Ausstellung vermeidet es, eine biographische Entwicklung des Stils von Maurice Denis darzustellen. Sie ordnet seine Bilder in Themenkomplexe, die Titel tragen wie „Zeit und Ewigkeit“ oder „Das klassische Glück“. Mit solcherart vagen Begriffen versucht man einem Maler gerecht zu werden, der Zeit seines Lebens impressionistische Elemente, Jugendstilformen und naturalistische Maltechnik vermischte.

Die Thematik seiner Bilder ist allerdings von der Zerrissenheit des modernen Ästheten zwischen einem mystischen Katholizismus und avantgardistischen Kunstanschauungen geprägt. Ohne es zu wollen hat Maurice Denis die Welt der katholischen Kirche in ihrer alltäglichen Gewöhnlichkeit porträtiert: Der Engel der Verkündung weicht in seinen Bildern einem Diakon und zwei kerzentragenden Meßdienern, die sich mit gesenkten Augen der Heiligen Jungfrau nähern. Der Heiligenschein ist nur vorsichtig angedeutet. Die Engel, häufige Gäste auf seinen Bildern, gleichen irdischen Boten.

Doch auch der Welt des christlichen Opfergangs tritt immer wieder ein lichtes und irdisches Arkadien gegenüber. Dabei wird die Spannung oft in einem einzigen Bild gestaltet – „Figuren in Frühlingslandschaft oder Heiliger Hain“, „Wallfahrt nach Sainte- Anne-la-Palud oder Badende“. Tatsächlich mischen sich unter die züchtig gekleideten Pilger im langen Schwarzen Männer und Frauen, die sich halbbekleidet fröhlich in die Fluten stürzen.

Leider wird die klassizistische Malerei des späteren Denis in Köln ohne Bezug zu seiner ideologischen Position dargestellt. Schon zur Jahrhundertwende hatte Maurice Denis seine kühnen Neuerungsvorstellungen hinter sich zurückgelassen und sich der Erneuerung der religiösen Malerei zugewendet. Gleichzeitig neigt er politisch dem Monarchismus zu, und er schließt sich der Action Française an. Er bekämpft Individualismus und Liberalismus, was in der Ausstellung komplett retuschiert wird. Hier gilt er als „wandlungsfähig, großherzig und liberal“.

„Hätte er nicht stets so überzeugend den Katholizismus gepredigt, so hätte es in Ermangelung einer Religion zumindest einer strengen Philosophie bedurft, um diesen Mann zufriedenzustellen, für den ein isoliertes Faktum schon das Chaos bedeutete.“ So schrieb 1948 Thadée Natanson über Maurice Denis. Ursula Gaßmann

„Maurice Denis. Fin de siècle und Neue Klassik“. Bis 2.4. im Wallraf- Richartz-Museum, Köln. Katalog 49 DM. Danach in Liverpool und Amsterdam zu sehen.

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