piwik no script img

Türkische Menschenrechte

Widersprüche löste die gestrige Anhörung des Bundestags-Innenausschusses zur Menschenrechtslage in der Türkei kaum auf  ■ Aus Bonn Hans Monath

Auch nicht erschienene Zeugen können mitunter eindrucksvolle Plädoyers abgeben: Gestern sollte die türkische Anwältin Eren Keskin vor dem Innenausschuß des Deutschen Bundestages in Bonn über die Menschenrechtslage in ihrer Heimat berichten. Die Kurden- Expertin aber konnte nicht nach Bonn kommen.

Der Grund: Sie war kurz vor ihrer Ausreise verhaftet worden, „weil sie das Falsche gedacht hat“, wie gestern Akin Birdal, der Präsident des türkischen Menschenrechtsvereins, den deutschen Abgeordneten erklärte.

Am Tag des Auslaufens des generellen Abschiebestopps für kurdische Flüchtlinge versuchte der Innenausschuß gestern, sich in der öffentlichen Anhörung Klarheit über die Menschenrechtslage in der Türkei zu verschaffen. Bündnisgrüne und Sozialdemokraten hatten wegen der Koinzidenz von Anhörung und Auslaufen des Abschiebestopps im Vorfeld schon vor einer reinen Alibiveranstaltung gewarnt.

Dabei konnte die gestrige Anhörung die vielen Widersprüche keineswegs ausräumen. Was nach stundenlanger Befragung deutscher Völkkerrechtler, türkischer Parlamentarier und den Vertretern von Menschenrechtsorganisationen aus beiden Ländern unzweifelhaft feststand, war auch vorher schon bekannt: In der Türkei gibt es massive Verletzungen der Menschenrechte.

Unterschiedliche Auskünfte aber erteilten die Experten über die strittigen Fragen, ob Menschen wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden in der Türkei verfolgt werden. Umstritten blieb auch, ob aus Deutschland abgeschobene kurdische AsylbewerberInnen bei der Rückkehr in die Türkei mit Verfolgung rechnen müssen und ob die Zusagen des türkischen Innenministeriums verläßlich sind, wonach Abgeschobene vor unzulässigen Übergriffen geschützt seien.

„Die Menschenrechte werden mit Füßen getreten“, erklärte Akin Birdal, Präsident des türkischen Menschenrechtsvereins, vor dem Gremium zur Lage in seiner Heimat. Eine Besserung, die viele im Westen erwarten, wollte er nicht erkennen: „Die Menschenrechtsverletzungen nehmen immer mehr zu.“ Seiner Organisation liegen nach Darstellung von Birdal mehr als 1.000 Beschuldigungen wegen Folterung vor. Nicht nur kriminelle Handlungen, allein schon die Gesinnung sei den Angaben des Menschenrechtlers zufolge in seiner Heimat Anlaß für Verfolgung: „Meinungsfreiheit gibt es in der Türkei nicht.“

Ähnlich entschieden urteilte die Vertreterin von amnesty international, Heidi Wedel. Sie warnte eindringlich vor der Aufhebung des generellen Abschiebestopps. Zur Diskussion über inländische Fluchtalternativen sagte Wedel, auch im Westen der Türkei würden Menschen festgehalten und gefoltert, weil ein kurdischer Geburtsort in ihrem Paß vermerkt sei. Auf bilaterale Absprachen mit der türkischen Regierung sei nicht mehr Verlaß als auf internationale Abmachungen, welche die Türkei zwar unterschrieben habe, aber nicht einhalte.

Die Juristin Silvia Tellenbach vom Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht bemühte sich dagegen, Reformfortschritte in der türkischen Gesetzgebung herauszuarbeiten. Nach ihrer Darstellung werden in der Bundesrepublik die Gefahren und Auswirkungen von türkischen Strafverfahren überschätzt. Seit 1984 sei in der Türkei kein Todesurteil vollstreckt, seit 1980 auch kein einziger Kurde hingerichtet worden. Die Strafrechtlerin sprach sich daher für eine Aufhebung des generellen Abschiebestopps aus.

Auch die türkischen Abgeordneten Ongan Sungurlu und Bülent Akarcall verteidigten ihre Regierung gegen die ihrer Ansicht nach ungerechten Vorwürfe. Angesichts der offenkundigen Widersprüche empfahl Bülent Akarcall seinen deutschen Kollegen, sich vor Ort selbst ein Bild zu machen: „Kommen Sie in die Türkei, um die Lügen mit eigenen Augen zu sehen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen