: Fastfood-Kettenreaktion
Nichtorte und ihre Organisation: Die Produzentenstrategien von McDonald's und Burger King bringen im Gegenzug immer diffizilere Konsumenten- und Angestelltenstrategien hervor. Eine Ballaststoff-Sammlung ■ Von Helmut Höge
Alle sechs Stunden eröffnet irgendwo auf der Welt ein neues McDonald's-Restaurant. Und dann gibt es noch Burger King, gleich Pepsi – in seinem ewigen Ringen mit Coca-Cola – ein Me- too-Produkt, wie Unternehmensberater Firmen nennen, in denen Marketingleute die Entwicklungsabteilung ersetzen. Das heißt, der Burger-King-Konzern aus Miami macht alles, was auch beim Branchen-Ersten McDonald's aus Illinois erfolgreich ist – vom Fleischklops mit Käse bis zur Kindergeburtstagsparty. Einziger Unterschied: Beim Fast-food-Ersten werden die Hamburger gebraten, beim -Zweiten gegrillt.
McDonald's steigerte seinen globalen Umsatz 1994 von 7,4 auf 8,4 Milliarden Dollar – mit nunmehr 15.205 Restaurants und 745 „Satelliten-Lokalen“. Burger King erreichte zur selben Zeit mit weltweit 7.547 Restaurants (Company-eigen oder im Franchise-System) und 270.000 MitarbeiterInnen einen Umsatz von 7,5 Milliarden Dollar. Allein auf Hawaii gibt es 2.000 Burger-King-Restaurants, außerdem eine Burger-King-Universität. Seit der Wende hat Burger King, seit 1985 beim britischen Nahrungsmittelkonzern („Wimpy“) Grand Metropolitan PLC, in Ostdeutschland zwölf Restaurants eingerichtet. In Berlin gibt es bis jetzt 24 Lokale, in den Ostberliner Bezirken Pankow und Schöneweide erfreut sich ein Burger-King-Drive-thru großer Beliebtheit, das entsprechende McDonald's-Drive-in befindet sich – wegen der dort ehemals stationierten U.S. Army – in Zehlendorf. Die McDonald's Corporation eröffnete in Ostdeutschland bisher 25 Restaurants, in Berlin gibt es insgesamt zwölf Lokale.
Wo ist die versteckte Kamera?!
Seit der Wende sprießen außerdem die vom Kettengedanken inspirierten „Mc“-Läden aus dem Boden: von McPaper über McShirt, McSport, McKraft, McMaxiMumm, McTrödel und McBillig bis zu McHair. Falls sich solche Unternehmensgründer in der selben Branche wie McDonald's tummeln, haben sie schlechte Karten: McFish, McPommes, McReis, McDöner – alle mußten sich einen neuen Namen – ohne „Mc“ – suchen. Jüngst erwischte es ein serbisches Lokal, „McJugo“, dessen Wirt sich teuer unterwerfen und das Geschäft in „Mr. Jugo“ umbenennen mußte.
Genau umgekehrt versuchen nationale Me-too-Ketten, sich an den Erfolg von McDonald's und Burger King anzuhängen: Sie kopieren das Angebot, nennen sich aber anders. In Hongkong und Macau heißt die chinesische Fast- food-Kette „Gemeinsame Freude“, in Manila „Fröhliche Biene“, und im Norden der USA ist die „Weiße Burg“ weit verbreitet. Sie verkauft winzige Hamburger, über die insbesondere Südstaatler gerne ihre Witze machen, einer geht so: Kommt ein Texaner ins White Castle und verlangt einen Hamburger. Als das kleine Ding vor ihm liegt, dreht er sich um und sagt: „O.k., wo ist die versteckte Kamera?!“
Es gibt auch Konsumentenstrategien, die geschäftsschädigend sind, zumal sie nicht juristisch eingedämmt werden können. So werden die auf schnellen Kundendurchlauf bedachten Lokale zum Beispiel gerne von Pennern und Fixern angesteuert. Um letztere zu vertreiben, hat man in den Berliner Burger-King-Klos jetzt Schwarzlichtlampen installiert, damit finden die Fixer ihre Venen nicht. Eher machtlos sind die Konzerne gegen üble Nachrede: In São Paulo und Rio de Janeiro hält sich zum Beispiel hartnäckig das Gerücht, kleine Plantagenbesitzer würden im Auftrag von McDonald's Riesenregenwürmer züchten, die dem Rindfleisch als Quantitätsverstärker beigegeben würden. In Manila wiederum sollen aus dem selben Grund immer mehr Katzenfänger einträgliche Nebengeschäfte mit der Fast-food-Kette zu laufen haben (vgl. dazu die volkskundlichen Sammlungen von R.W. Brednich). Und in Istanbul kursiert das böse Gerücht, die Fleischklopse enthielten Impotenzmittel.
Ebenso interessant wie der lokale Widerstand gegen globale Konzernketten mittels solcher „Urban Tales“ sind die regionalen Differenzen bei den Fast-food- Ketten selbst: In Istanbul und Manila sind die McDonald's- und Burger-King-Filialen stark unterkühlt, die Klimaanlagen auf volle Kraft gestellt. Die Lokale werden vornehmlich von Schülern und Studenten der oberen Mittelschicht frequentiert. Im Universitätsviertel von Manila, Quezon-City, ist McDonald's der Treffpunkt junger Schwuler, die einen dezent-teuren Tuntenschick kreieren. Die Lokale werden von schwerbewaffneten Wächtern in Phantasieuniformen geschützt. Dazu gibt es dort eine Motoguzzi-Staffel, die telefonische Bestellungen erledigt. An Allerheiligen liefern sie die Hamburger sogar bis zu den Grabsteinen auf den Friedhöfen, wo an diesem Tag Millionen von Menschen Picknick machen. In Bangkok hängt in fast jedem Fast-food-Lokal ein buddhistischer Altar an der Wand. In Japan treffen sich derzeit in den McDonald's-Läden junge Leute, die Original-NVA-Klamotten tragen, und bei Burger King die Flower-power-Modeträger. Die drei McDonald's-Restaurants in Moskau sind überheizt. Warme Stuben strahlen dort Wohlhabenheit aus. Der McDonald's- Manager residiert übrigens in der ehemaligen Luxuswohnung Dimitroffs. Jewgeni Jewtuschenko erwähnt in seinem neuen Roman das 5.000-Plätze-McDonald's am Puschkinplatz, das nicht einmal während des Putsches 1991 geschlossen hatte: „Hunderte von Menschen standen Schlange. Ihnen war alles egal, wenn sie nur auf einem BigMac herumkauen konnten, der mit Ketchup wie mit Hollywood-Blut beschmiert war.“
Anders sieht es in dem einst von Andy Warhol besonders gepriesenen McDonald's-Restaurant in Peking aus, das trotz Pachtvertrag gerade einem einheimischen Restaurant-Investor weichen soll. Dort bedienen vornehmlich Studentinnen, die begeistert sind vom neuen westlichen Teamgeist und Führungsstil, der Initiativen von unten mehr entgegenkommt als der in den Staatsbetrieben. Stündlich gibt eine uniformierte Fege-Brigade eine Sondervorstellung, indem sie zum Rhythmus lauter Popmusik saubermacht. Im eher von Arbeitskräftemangel gekennzeichneten Hongkong versuchen die McDonald's- und Burger-King-Lokale, an die noch nicht ausgelasteten Bevölkerungsteile heranzukommen, indem sie beispielsweise Zwei- Stunden-Jobs (für Schüler und Hausfrauen) anbieten, die mit dem Versprechen schneller Aufstiegschancen verbunden sind.
Keine Halbprodukte aus eigenem Anbau
Einen Berliner Restaurant-Besitzer, Fang Yu, brachte das auf die Idee, über eine Kombination aus McBurger und chinesischer Garküche nachzudenken. Er kam dabei einem Gedanken des tschechisch-brasilianischen Philosophen Vilém Flusser nahe: „Seit das Menü ein Wort im Computing wurde, beginnen wir überhaupt erst zu begreifen, was Freiheit ist.“ Laut Flusser gab es einen Übergang von der mediterranen Küche, „in der für den Teller kalkuliert wird“, zum amerikanischen „Deep Freeze, wo auf dem Tisch kombiniert wird“. Auch käme eine „Synthese aus McDonald's und tragbarer chinesischer Küche“.
Nicht zuletzt um dem wachsenden Konsumentenprotest zuvorzukommen, der sich in Parolen wie: „Keine Rinderzucht auf Regenwaldböden! Boykottiert McBurger!“ äußert, bemühen sich die Fast-food-Konzerne in letzter Zeit vor allem um Regionalisierung ihrer Zulieferer unter Beibehaltung der Qualitätsstandards. Mitunter ohne Erfolg: So scheiterten einige Kibbuzim in Israel jahrelang am Anbau bestimmter Kartoffelsorten, die McDonald's ihnen abzunehmen versprach. Erst 1994 war ein neuer Kibbuz erfolgreich, und seitdem gibt es auch ein McDonald's-Restaurant in Tel Aviv, das einem Lizenznehmer gehört. Diesen Franchisern räumen beide Fast-food-Konzerne bei der Lokaleinrichtung „gewisse Gestaltungsmöglichkeiten“ ein, ebenso die Entscheidung für oder gegen Bierausschank und Raucherecke.
In Gesamtdeutschland hat allein McDonald's täglich 1,3 Millionen Gäste. 1990 berichtete der letzte DDR-Minister für Handel und Versorgung, Manfred Flegel: „Ich habe mit den BRD-Vertretungen von McDonald's verhandelt. Sie möchten gerne ihre Ketten hier auch aufbauen, Burger King ebenso. Natürlich ist unsere Forderung dabei, daß dann die Vorprodukte und Halbprodukte bitteschön maximal aus der eigenen Landwirtschaft kommen.“ Mit der Auflösung der DDR übernahmen die „BRD-Vertretungen“ die Expansion in den Osten, mit der Folge, daß die ostdeutschen Burger-King-Lokale heute das Rindfleisch von der Aschaffenburger Firma Salomon/Hitburger, die Kartoffeln von Lemb Westan aus Holland und die Brötchen von der Firma Weber aus Stuttgart bekommen – also komplett aus dem Westen. Ähnlich sieht es bei McDonald's aus: Auch dort kommen die Brötchen von der Firma Weber, das Rindfleisch liefert eine Allgäuer Kooperative, und die Pommes frites stammen von Stöver- Agrarfrost – der allerdings mittlerweile auf bestem ostdeutschem Boden, bei Magdeburg, etliche Bauern unter Subunternehmer- Vertrag genommen hat.
Das Bedienungspersonal in den Fast-food-Lokalen kommt dagegen schon eher aus dem Osten. Wie eine Blitzumfrage ergab, bleiben sie jedoch meist nicht lange: zuviel Arbeit, zu wenig Lohn und kaum Kontakt zu den ausländischen Kollegen, die oft die Mehrheit bilden. In Westdeutschland werden die US-Fast-food-Konzerne immer wieder von der Gewerkschaft Nahrung, Genuß und Gaststätten (NGG) wegen ihrer „ungeschützten Arbeitsbedingungen“ kritisiert. Bei Burger King gibt es immerhin seit 15 Jahren einen Betriebsrat, während McDonald's seinen Mitarbeitern bis heute einredet: „Die NGG braucht ihr doch nicht!“ (Miese Arbeit nennt man neuerdings „McJobs“.) In den USA haben die Gewerkschaften die Geschäfte von McDonald's und Burger King eher beflügelt, indem sie zum Beispiel in vielen Branchen regelmäßige Pausen erzwangen. Die Arbeitgeber offerierten ihren Mitarbeitern dann meist Coca-Cola und Hamburger. Selbst Schüler und Studenten sind oft auf die nächstgelegenen Fast-food-Lokale angewiesen. Während der philippinischen „Edsa-Revolution“ 1986 mieteten die US-Fernsehgesellschaften als erstes die Motorradstaffeln der Polizei samt Fahrern an. Die Maschinen wurden mit Kühlboxen für Hamburger und Cola ausgerüstet, weil die US- Journalistengewerkschaft auch dort auf regelmäßigen Pausen mit Verpflegung bestand.
Den Chef richtig hängenlassen
Der Widerstand gegen die Arbeitsbedingungen in den Hamburger-Lokalen selbst ist in den USA meist subtil und individualisiert. „Der Anteil von Fast-food-Arbeiterinnen, die zugeben, absichtlich ,langsam und nachlässig‘ zu arbeiten, liegt bei 22 Prozent“, schrieb Harper's Index, und das Security Management Magazine konstatierte: „Manchmal schafft die Firmenleitung es nicht, die Angestellten zu kontrollieren, tatsächlich ist oft das Gegenteil der Fall.“ Ein Reader zum Thema „Sabotage“ erwähnt einen Fall, wo sämtliche Mitarbeiter sich an einem Tag privat trafen: „Wir verbrannten unsere kleinen Mützen und entschieden dann, alle gleichzeitig zu kündigen, und zwar noch am gleichen Tag, an Silvester. Wir ließen den Chef regelrecht hängen.“ In einem anderen Fall nahm ein rachsüchtiger Angestellter die Musikkassetten, die im Lokal abgespielt wurden, mit nach Hause: „Ich ließ zehn Minuten Musik durchlaufen, nahm dann zwei Sekunden Radiogeräusche in voller Lautstärke auf und ließ wieder fünf Minuten durchlaufen. Dann nahm ich noch ein richtig aggressives Lied auf, das richtig einschlagen würde.“ Anschließend brachte er die Kassetten zurück, kündigte und freute sich auf das, was passieren würde.
Als der Kulturkritiker Michael Rutschky nachts in den USA landete, müde, hungrig und zerschlagen, und er nur noch in einem McDonald's-Lokal was zu essen fand, konstatierte er anschließend: „Amerika, du magst mich nicht!“ Das würden junge Ostdeutsche wahrscheinlich ganz anders sehen. Jedenfalls gibt es bereits mehrere Fast-food-Lokale in der Ex-DDR, die sich zu regelrechten „Kultstätten“ gemausert haben: beispielsweise jenes in Neubrandenburg, das sogar von motorisierten Jugendlichen aus Usedom, Greifswald, Anklam und Wolgast umlagert wird. Ebenso McDonald's in Magdeburg, das sich zu einem regelrechten „Lungerplatz“ entwickelt hat, der von normalen älteren Bürgern gemieden wird. Am Herrentag 1994 fand dort die Skinhead-Randale statt. Seitdem fragen einen viele junge Leute, die aus den umliegenden Dörfern kommen, schon am Bahnhof: „Wo ist denn McDonald's?“
Bei den Bediensteten deutscher Fast-food-Lokale treffen meist Unterprivilegierte aufeinander. Das gilt in Westdeutschland selbst für das Management: Meist gescheiterte Selbständige mit einem Hang zu Aufschneiderei mit Cognac. Stadtplaner halten es mittlerweile für bedeutsam, daß all diese Filialleiter – von Fast-food-Lokalen, Sparkassen, Super- und Möbelmärkten – abends in den westdeutschen Fußgängerzonen traurige Haufen bilden, getröstet meist nur von Pub-Wirten, die sich nicht selten ebenfalls mehr vom Leben erhofft hatten, in jungen Jahren.
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