Berliner Tagebuch: Zwangseinquartierung
■ Berlin vor der Befreiung: 23. März 1945
Foto: J. Chaldej/Voller Ernst
Als wir in den Hof des Schlosses Klosterzella, eines tief im Wald gelegenen früheren Klosters, einfahren, sehen wir den Hausherrn, Helmut Fries, mit dem Ehepaar Hamacher und Frau von Goldammer auf einer Terrasse beim Tee. Wenige Minuten nach uns kreuzt ein Kübelwagen mit Offizieren auf, um das Schloßgut für die Installation von V-Waffen zu beschlagnahmen. Heribert gelingt es, das unerwünschte Kommando zum Abzug und zu dem Angebot zu bewegen, den kaputten Topolino in einer fliegenden Heereswerkstatt reparieren zu lassen. Damit haben wir uns Gastrecht gesichert. Hamachers sind einige Tage vorher nach dreiwöchigem Treck in einem offenen Kutschwagen aus ihrem am Steinauer Brückenkopf gelegenen Schloß Lampersdorf in Schlesien eingetroffen. Außer diesen Freunden hat Helmut Zwangseinquartierungen unterbringen müssen, darunter sechzig Beamte des Generalgouvernements aus Krakau, die sich mit aus Polen mitgenommenen Möbeln und Teppichen in Klosterzella installiert haben, wo sie sich seit einigen Tagen mit dem Verbrennen von Akten befassen. Für den Transport der Dokumente, die auf einer Waldlichtung zu großen Scheiterhaufen geschichtet werden, steht ihnen ein kleiner Panjewagen zur Verfügung, der sonst zu Schieberfahrten aufs Land benutzt wird. Hans Georg von Studnitz
„Als Berlin brannte“, Gustav Lübbe Verlag GmbH, Bergisch Gladbach 1985.
H.G. von Studnitz (geb. 1907), rechtskonservativer Journalist, 1932–1940 Auslandskorrespondent u.a. in Rom, London, Neu- Delhi und Kairo, 1940–45 Referent in der Presseabteilung des Auswärtigen Amtes, 1945 für sieben Monate inhaftiert, in den 50ern Pressechef der Lufthansa, Mitarbeit bei verschiedenen konservativen Zeitungen.
Recherche: Jürgen Karwelat
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