■ Bedrohlicher Schwund bei der Bundeswehr: Hormonell geschwächt
„Die Bundeswehr ist eine Vereinigung junger Männer, die im Ernstfall den Feind solange aufhält, bis die Soldaten kommen.“ Einer der schönsten Rekrutenwitze bringt die volle Größe des Unternehmens Bundeswehr auf den Punkt. Dort, so weiß man, wird vor allem gesoffen, geputzt, geklaut und viel Zeit totgeschlagen. Gelegentlich schießt sich auch mal ein Gefreiter ins Knie, walzt ein Leopard-Panzer einen Fiat Panda platt. Und wenn sich im Morgengrauen eine Kuh den Truppen nähert, wird sie schnell als Feindobjekt identifiziert und kaltblütig niedergestreckt. Unsere Jungs sind schwer auf Zack. Ansonsten aber ist das Essen schlecht, der Zugführer von schlichtem Gemüt, der ganze Verein mittelalterlich strukturiert.
Da sollte es uns nicht wundern, daß die Zahl der Wehrdienstverweigerer zunimmt. Sie nimmt sogar „rapide“ zu, wie unionierte Truppenzähler warnen. Mehr noch: Die angepeilte Mannstärke von 340.000 Kämpfern ist ernsthaft gefährdet. Der deutsche Soldat in einer Reihe mit Rotbauchunke und Zilpzalp auf der Roten Liste aussterbender Arten? Soweit sind wir noch nicht, aber die Verweigererquote hat brisante 30 Prozent erreicht und liegt damit bereits um zwei Prozent über der amtlichen Höchstgrenze.
Vor allem im Januar (18.500 Verweigerungen) und im Februar dieses Jahres eskalierte die Quote. Eine verblüffende Erklärung dafür lieferte jetzt die Hardthöhe: Dies seien saisonale Schwankungen! Wie dürfen wir das verstehen? Sind die jungen Deutschen im Januar vom Bimmeln des Weihnachtsglöckchens noch so entrückt, daß sie den waffenstarrenden Blödsinn Bundeswehr postsentimental ablehnen? Oder spielen im Februar schon Vorfrühlingsgefühle eine Rolle? Schlägt unser genetisches Erbe – unsere Art zu vermehren und nicht zu vernichten, was sich gerade im Frühjahr hormonell manifestiert – voll durch?
Diesen biologistischen Interpretationen stehen auf der anderen Seite simplere Deutungsmuster gegenüber. Bei Kälte, Matsch und Dunkelheit haben wir erstens miese Laune, die durch den Gedanken an Kasernenhof-Tristesse und promillisiert-brüllende Uniformlinge nicht gerade angehoben wird. Zweitens sind die Wintermonate eine Zeit der Besinnung. Vom Einschalten des Restgrips bis zur Verweigerung kann der Weg verdammt kurz sein.
Wie auch immer: Um die Mannstärke der Truppe müssen wir uns dennoch keine Sorgen machen. Das Grundrecht auf Verweigerung litt schon immer an einer gewissen kautschukartigen Überformung. Eine weitere milde Verlängerung der Zivildienstzeit würde Soll- und Iststärke beim Bund schnell egalisieren. Schlimmstenfalls werden auch die mit Plattfüßen eingezogen. Im Krieg muß ja heute keiner mehr laufen. Manfred Kriener
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