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Die Skandinavien-Connection

Die „Nachschublinie Nord“ steht: Seit mehr als fünf Jahren schleusen Neonazis über Dänemark und Schweden ungehindert rassistische Propaganda nach Deutschland  ■ Aus Kopenhagen Reinhard Wolff

„Die Blutspur hinter den Neonazis wird breiter und breiter. Und das scheint erst der Beginn.“ Das erklärte der Hamburger Verfassungsschutzchef Ernst Uhrlau der Kopenhagener Tageszeitung Det Fri Aktuelt. Irritiert hatte Uhrlau, daß diese Spur über die dänisch- deutsche Grenze führt und aus Dänemark Nachschub in Form tiefbrauner Propaganda bekommt. Das war 1992.

Drei Jahre später sitzt mit dem NSDAP-AO-Gründer Gary Lauck zwar einer der Drahtzieher der Propagandaflut in dänischer Auslieferungshaft, doch unabhängig von seinem weiteren Schicksal spricht nichts dafür, daß die „Nachschublinie Nord“ abreißt. Zumindest solange, wie Dänemark die Verteidigung der Meinungsfreiheit höher hängt als den Kampf gegen Verbalrassismus.

Aufgebaut wurde die „Versorgungslinie“ am 4. Juli 1990. Unter Vermittlung des deutschen Altnazis Thies Christophersen – seit 1986 im dänischen „Exil“ – trafen sich die Spitzen des braunen Sumpfs im süddänischen Kollund. Michael Kühnen und Gary Lauck, Christian Worch, damaliger „Führer“ der NSDAP-AO, und Berthold Dinther vom Rudolf-Hess- Gedenkverband. Dazu der Österreicher Gottfried Küssel, 1993 zu elf Jahren Haft verurteilt, der Holländer Toni Douma und zehn weitere deutsche und österreichische Top-Nazis. Thema: Der Vorstoß in den Osten.

Das „Operationsgebiet Skandinavien“ sollte Ostdeutschland und Osteuropa nach dem Fall der Mauer mit Propagandamaterial versorgen. Gary Lauck sollte nach wie vor für die Produktion von Nazipropaganda in den USA verantwortlich sein, Kühnen und Worch die gerade untergehende DDR beackern. Küssel und seine Gefolgschaft von Österreich aus Ungarn – ab 1991 auch nazistische Milizgruppen in Bosnien und Kroatien.

Christophersen und Lauck kannten sich zumindest seit 1974. Damals versuchte der Altnazi, in Norddeutschland eine Nazi-Bewegung wiederzuerwecken, und Lauck war auf Vortragsreise: „Warum wir Amerikaner Adolf Hitler verehren.“ Seitdem riß der Kontakt nicht mehr ab. Lauck sorgte dafür, daß Christophersens brauner Klassiker „Die Auschwitz-Lüge“ auch nach einer Verbots- und Beschlagnahmeaktion 1980 nach Deutschland geschmuggelt und verbreitet werden konnte, in mittlerweile schätzungsweise 100.000, größtenteils aus den USA eingeschmuggelten Exemplaren.

Das Treffen in Kollund war allerdings für Lauck offenbar nicht besonders befriedigend. Es zeigte sich, daß Christophersen über wenig fruchtbare Kontakte zu dänischen Neonazis verfügte. Die größte der Gruppen, die Dänischen Nationalsozialisten (DNSB), waren damals mit Kühnens Widersachern im internen deutschen Nazi-Machtkampf verbunden und hatten das Kollund- Treffen boykottiert.

Lauck fuhr deshalb von Dänemark nach Südschweden und traf in Malmö mit der Nazi-Gruppe SNF-Malmö zusamen. Eine offen nazistische und militante Ausbrechergruppe des „Schwedischen Nationalen Verbandes“ (SNF). Ein Lager wurde eingerichtet, ein „Lagerführer“ ernannt, und seither kam unter einer der Lauck- Adressen aus den USA ein Flutwelle brauner Post. Sie wurde in Malmö sortiert, aufbewahrt und ausgewählten „Reichsdeutschen“ zum Weitertransport über die Ostsee und die nahezu offene deutsche Grenze übergeben.

Ab 1991 wurde neben der schwedischen die „dänische Connection“ immer wichtiger. Die DNSB hatte sich nach internen Machtkämpfen um die reinrassige Rassenlehre erst aufgelöst, dann unter gleichem Namen neu konstituiert. Ihr neuer Leiter war Jonni Hansen. Bei ihm wurde auch Lauck in der vergangenen Woche verhaftet. Hansen knüpfte die vorher fehlenden Kontakte zu Deutschland, vor allem zu Christian Worchs Gruppe in Hamburg.

Gleichzeitig wurde über SNF- Malmö ein dichtes Netzwerk mit anderen skandinavischen Neonazi-Gruppen geflochten. Lauck schickte bald aus Nebraska die neunte und zehnte Sprachausgabe – schwedisch und dänisch – seiner NSDAP-AO-Postille zur regelmäßigen Verteilung. Dem Redakteur der dänischen Ausgabe, Henrik Christensen, gehörte ein Postfach in Randers, das bald zum zentralen Kontaktpunkt für das Abrufen von in Deutschland verbotenem Neonazi-Material werden sollte. Lauck war zwischen 1990 und 1994 mindestens drei weitere Male in Dänemark und zumindest einmal in Schweden, um sich vom Funktionieren der „Nachschublinie Nord“ zu überzeugen.

Seit Mitte 1994 scheint sich der deutsche Verfassungsschutz verstärkt um die internationalen Kontaktlinien der NSDAP-AO gekümmert zu haben. Dänemarks Regierung und Parlament diskutieren nach einem entsprechenden Vorstoß aus Bonn die Frage einer Verschärfung des geltenden „Rassismus“-Paragraphen, der nur bei direkt rassistischen Handlungen eingreift, nicht aber „Verbalrassismus“ unter Strafe stellt.

Offenbar diente Laucks jetziger Besuch in Dänemark dazu, sich auf eine solche neue Entwicklung einzustellen. Der Däne Hansen gab gegenüber der Presse selbst an, vor der Verhaftung Laucks mit diesem über „die Sicherung der Druckereiaktivitäten für den Fall einer Festnahme“ diskutiert zu haben. Was ein Licht darauf wirft, wie bedeutsam die „Nachschublinie Nord“ im neonazistischen Geflecht geworden ist.

Weder in Schweden noch in Dänemark wurde viel getan, die Verflechtungen der braunen Internationale auch nur zu erfassen. Auch für eine schärfere Verfolgung der Verbreitung rassistischen Gedankengutes zeichnet sich keine parlamentarische Mehrheit ab. Dahinter steckt auch der Vorwurf, die deutschen Behörden könnten mit eigenen Maßnahmen die braune Propaganda wirksam stoppen – wenn sie nur wollten. Dänemarks Beinahe-taz, die Kopenhagener Tageszeitung Information: „Wir sollten stolz auf diese Haltung sein. Hätten wir sie nicht, hätten wir in den dreißiger Jahren Tausende flüchtiger Juden und Sozialdemokraten an die deutsche Justiz ausliefern müssen. Damals waren sie es, die auf die schwarze Liste gesetzt worden waren von Leuten, die behaupteten, die deutsche Verfassung zu schützen.“

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