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Ausgeflaggte Steuergroschen

■ Was die Flucht der Reeder in die Billigtarifländer mit dem Länderfinanzausgleich zu tun hat

Erinnern Sie sich noch an das Kiribati-Geheimnis? Nicht? Nun, vor gut zweieinhalb Jahren hatte sich das Ortsamt Mitte ziemlich gewundert. Als dort eine Mitarbeiterin Sozialdaten über den Stadtteil zusammenstellen sollte, da staunte sie nicht schlecht. Denn plötzlich stieß sie auf eine Gruppe von BremerInnen, von denen sie im Leben noch nichts gehört hatte: 125 alleinstehende Männer aus Kiribati, und alle wohnten im Bezirk Mitte, gemeldet bei ein und derselben Adresse. Des Rätsels Lösung? Erstens: Kiribati ist eine Inselrepublik in der Südsee. Zweitens: Die Männer waren Seeleute, die allesamt auf den Schiffen eines Bremer Reeders fuhren. Und wenn Bremer Schiffe unter deutscher Flagge fahren, dann muß auch die Besatzung in Deutschland gemeldet sein – und sie bringen Steuergeld in die Bremer Kassen. Das heißt allerdings, der Trend zum Ausflaggen von Schiffen hat auch für den Landeshaushalt einen höchst unangenehmen Nebeneffekt. Bremen verliert EinwohnerInnen, Bremen verliert direkte Steuereinnahmen, und Bremen verliert Geld im Länderfinanzausgleich.

Schiffe unter deutscher Flagge sind deutsches Staatsgebiet, Bremer Schiffe sind dann quasi bremische Schwimmkolonien. Die kiribatischen Seemänner liegen vor Madagaskar oder sonstwo, und zuständig ist das Finanzamt Bremen-Mitte. Die Seeleute zahlen nämlich ordnungsgemäß Lohnsteuer. Wieviel, das hängt ganz von der Zeit ab, die sie auf dem Bremer Schiff arbeiten, heißt es aus dem Bremer Finanzressort. Bis zu einem halben Jahr sind sie „beschränkt Lohnsteuerpflichtig“. Das klingt zunächst nach „beschränkten Einnahmen“ fürs Bremer Staatssäckel, ist es aber mitnichten. „Beschränkt“ werden dabei nämlich die Steuervergünstigungen, sehr zum Leidwesen der Seeleute. Ob sie Familie haben oder verheiratet sind – das spielt alles keine Rolle. Sie werden nach Steuerklasse eins eingestuft. Mit saftigen Abzügen. Steuervergünstigungen gibts nur für Seeleute, die länger als ein halbes Jahr an Bord oder für länger als ein halbes Jahr angeheuert worden sind. Die werden steuermäßig behandelt wie jeder normale Arbeitnehmer in einem Bremer Betrieb. Und dementsprechend kommen die Steuereinnahmen ganz normal in den großen Topf „Lohnsteuer“.

Welche Paßfarbe die Seeleute auf Bremer Schiffen auch immer haben mögen, sie bringen Bremen auch noch auf einem ganz anderen Weg Geld ein. Und zwar über den Länderfinanzausgleich. Die Berechnung ist bekannt. Bremen bekommt ein größeres Stück vom Finanzkuchen, als es dem Land eigentlich nach seiner Einwohnerzahl zusteht. Begründung: Ein Stadtstaat hat besondere Lasten, die ein Flächenland nicht hat. Von den Krankenhäusern bis zum kulturellen Angebot – die Stadtstaaten versorgen das Umland mit. Bei Bremen kommen noch die besonderen Hafenlasten dazu, eine nationale Aufgabe. Kurzum, die gemeine BremerIn ist in der bundesweiten Steuerverteilung mehr wert, als die gemeine PfälzerIn (nichts gegen PfälzerInnen). Und zur großen Zahl der gemeinen BremerInnen gehören eben auch – die Seeleute.

Aber eben nur die auf Schiffen unter deutscher Flagge. Und die werden immer weniger. Allein in den letzten zehn Jahren haben deutsche Reedereien bundesweit 550 Schiffe ausgeflaggt, beklagte gestern der Bundesrat. Dabei seien rund 9.000 Arbeitsplätze verlorengegangen. Der Bundesrat forderte die Bundesregierung gestern auf, die Fahnenflucht mit politischen Maßnahmen zu stoppen.

Das hatten die norddeutschen Küstenländer schon lange gefordert. Für das finanziell chronisch schwindsüchtige Bremen wäre das auch dringend nötig.

J.G.

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