piwik no script img

Lieber aus dem Koffer produzieren?

■ Das Deutschlandradio will die europaweit einzigartigen Hörspielstudios des ehemaligen DDR-Rundfunks an der Nalepastraße nicht mehr nutzen

„Ja, doch, wir produzieren in Block B. Aber in H2, nicht in H1!“ Diese Zahlenkombination, die Gabriele Bigott, die Hörspielchefin des ORB, spricht, können HörkunstinsiderInnen als Kürzel für Spaltung und Aufstand dechiffrieren. Es geht um die teils vollzogene, teils immer noch drohende Schließung der traditionsreichen Hörspielstudios (H1 und H2) im Block B des Rundfunkgeländes an der Köpenicker Nalepastraße.

Vor einer Woche wurde den HörspielmacherInnen des Deutschlandradios (DLR) der Ton abgedreht, während der ORB noch weitermacht – wenn auch nur im kleineren Studio. Gerüchten, auch die Brandenburger müßten zum Jahresende ihre Produktionen made in Köpenick beenden, hält Bigott entgegen, sie habe den unbefristeten Vertrag „selbst gesehen“. Was nicht heißt, daß sie sich völlig sicher fühlt. Denn keiner weiß, was der Intendanz noch alles einfällt – jetzt, wo die KollegInnen vom DLR raus sind. Ob andere Nutzungsvorschläge des Geländes im Gespräch sind, die Kosten enorm in die Höhe schnellen oder das Ganze zu guter Letzt doch an den Denkmalschutz geht.

Bei Mathias Dunger, Denkmalpfleger im Senat für Stadtentwicklung und Umweltschutz, steht, nebenbei bemerkt, der Bau des Gropius-Schülers Franz Ehrlich ziemlich oben auf der Liste potentieller Schützlinge. Aber wäre es nicht auch „kulturell besonders sinnvoll“, diese in Europa einzigartigen Musik- und Hörspielstudios in ihrer Funktion weiter zu erhalten?

Die gewaltige Ausstrahlung der Räume dieses Bauhausriesen ist schwer zu beschreiben. Beim Ortstermin verwirrt die Größe erst einmal beträchtlich. Frau Fischer, Regieassistentin des DLR, führt mich durch verzweigte Flure und Gänge, an ellenlangen Fensterbänken voll tapferer Büropflanzen entlang. Vorbei an teilverglasten Wänden, in denen die Reste des Kostüm- und Requisitenfundus vor sich hin stauben. Zum berühmten „Großen Saal“ fehlt leider der Schlüssel – doch seinen Ruf, im internationalen Vergleich unter den klanglich schönsten Aufnahmeräumen zu sein, könnte die Augenzeugin sowieso nicht überprüfen.

Weiter geht's zu einem eindrucksvoll hallenden Foyer mit ausladender Wendeltreppe und Blick auf eine Spreeterrasse, wo über installierte Mikros – auch von draußen – die Weite einer Hörbühne in Echtzeit erspielt werden kann. Knallharten VertreterInnen neuer Hörspiel-Workstations mögen sich jetzt die Nackenhaare sträuben. Denn natürlich läßt sich alles synthetisch produzieren: Der Sound in der festinstallierten Sauna, im Kerker, im Ballsaal und in der Telefonzelle. Aber hat schon mal jemand den Verlust der Sinnlichkeit bei Hörspielen thematisiert, die Folgen einer Verdrängung präziser Regiearbeit, die neben den Experimenten doch nach wie vor ihre Berechtigung hat? Namhafte Regisseure wie Jörg Jannings, Peter Groeger oder Karlheinz Liefers schätzen die Möglichkeiten der Räume in der Nalepastraße ungemein.

Keine Siegerpose, eher Desinteresse

Einige Schauspieler, die hier gerade arbeiten und auf dem Weg von der Regiebesprechung zum „Schalltoten“ des Studios H1 sind, bestätigen meine Überlegung: Es sei einfach besser, die Sprechrollen mit Armfreiheit in Bühnenatmosphäre zu entwickeln, statt nur den Sprech-Baustein im Computer des Einzeltäters zu geben. In der Tat scheint die Nutzung dieses unbestritten einzigartigen Studios ganz nebenbei auch der Konzeption des „Hörspiels aus dem Koffer“ zum Opfer zu fallen. Eine kurzsichtige Entscheidung, der in Deutschland noch sehr vielseitigen Hörspiellandschaft so ans Leder zu gehen! Auch wenn ein einstiger Ostregisseur beim Schließungsmanöver von H1 noch eine Siegerpose des Westens wittert – Sigrid Schleede, die stellvertretende Hörspielchefin des DLR, hält dies für unwahrscheinlich. Sie befürchtet vielmehr ein wachsendes Desinteresse der Intendendanz an der Hörspielpräsenz im Kulturradio.

Eine Finanzierungs- (und Rettungs-?)möglichkeit von H1 wäre für Schleede das derzeit vom ORB praktizierte Raum-Sharing-Modell. Andere ARD-Anstalten wie bisher der WDR, MDR und SDR nutzen das Studio H2 für ihre Produktionen. Warum gab es bei der DLR-Intendanz kein offenes Ohr für diesen Vorschlag? Aus ökonomischen Gründen wurde der Nutzungsvertrag mit dem Vermieter des Geländes (Neue Länder Grundstücksverwertung und Verwaltung) nicht verlängert. Aber: Die Sanierungskosten für Block B sind nie genau ermittelt worden. In einem Gutachten ist von dreißig bis sechzig Millionen Mark die Rede. Allerdings wurde dieser Betrag von den BenutzerInnen der Hörspielstudios als völlig überhöht zurückgewiesen.

Auch wenn die Finanzlage unübersichtlich ist, ein klares Wort zum Thema „Sparen“ kann gesagt werden: die Produktionsstätte ist ersatzlos gestrichen worden. Was im Klartext bedeutet, daß es keinen Ort gibt, der die alte Produktionskapazität, die bis zu ihrer Schließung stets ausgelastet war, aufnehmen kann! Kein Wunder also, daß es beim DLR jetzt raummäßig knapp wird. Hörspielchef Götz Naleppa wird nun zur Lösung des Dilemmas erfinderisch werden müssen – man spricht von Anmietung der SFB-Studios, vielleicht sogar der produktionsweisen Nutzung des gerade verlassenen H1 oder (und das ist der Gipfel) vom Pendeln des gesamten MacherInnenteams nach Köln.

Von der grotesken Verschwendung kreativer Energie und Planung einmal abgesehen, bleibt auch das Stichwort „Medienstandort Berlin“ hier auf der Strecke. Sind die Biotope der Schauspieler und Regisseure erst mal plattgemacht, was dann? Radioleute sind zwar kämpferisch und protestierten beim diesjährigen „Prix Futura“. Trotzdem ist es wohl leider Wunschdenken, die Hörspielabteilung des DLR könnte demnächst verkünden: „Ja doch, wir produzieren im Block B.“ Gaby Hartel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen