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■ Cash & CrashKriegsgeschrei in Istanbul

Berlin (taz) – Anfang März explodiert die angespannte Lage in den Alewiten-Vierteln von Istanbul mit Straßenschlachten und über zwanzig Toten, und der Aktienindex an der Istanbuler Börse steigt unbeirrt nach oben. Ende März marschiert die Armee in die kurdischen Gebiete im Norden des Irak ein – die Börse quittiert mit einem weiteren Kurssprung.

Für die Insider war der Kurdenfeldzug ein Kaufsignal, weil die Regierung um die nicht sehr beliebte Ministerpräsidentin Tansu Çiller damit Entschlossenheit zeigte. Das bringt Stabilität in die Politik und macht vorgezogene Neuwahlen unwahrscheinlicher.

Denn Spekulanten an den Nebenschauplätzen des Welt-Börsenhandels setzen nicht unbedingt auf gute Wirtschaftsdaten, sondern auf geordnete, überschaubare Verhältnisse. Und auf ihre Milliarden Dollar, mit denen sie Standorte wie Ungarn oder Mexiko hochjubeln, um sie wie heiße Kartoffeln fallen zu lassen. Derzeit sind viele einstige Aktien-hot-spots mau bis katastrophal. Doch die Türkei ist top. 1994 war der durchschnittliche Aktienwert noch um die Hälfte gefallen, jetzt wird Rekord um Rekord gebrochen. Im Februar stieg der Istanbul-Index um 15 Prozent, im März um 37 und in der ersten Aprilwoche schon um 12 Prozent – obwohl die Profite der börsennotierten türkischen Unternehmen 1994 ein Drittel niedriger ausfielen als im Jahr davor.

Wenn die Wirtschaftseckdaten nicht stimmen, müssen eben andere Gründe fürs Spekulieren herhalten: Die Inflation sei ziemlich niedrig mit 4,1 Prozent – im Monat! Und die fallenden Profite in ihren Stammgeschäften konnten die Unternehmen ja mit hohen Einkünften auf den Finanzmärkten wettmachen. Immerhin bot die Regierung bis zu 80 Prozent Zinsen für Geldanlagen. Getreu diesen Schönwetterparolen sieht der Istanbuler Broker Tim Talkington in der Financial Times denn noch „Raum für weitere zwanzig Prozent“ Zuwachs beim Marktindex „bis eine Korrektur einsetzt“.

Die Korrektur könnte schnell kommen, wenn nämlich die Çiller-Regierung demnächst erklären muß, wie sie das Abenteuer im Irak bezahlen will. Oder wenn das Europäische Parlament im Herbst die Annahme des Zoll- Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Türkei verweigert – wegen der doch zu langen Liste der Menschenrechtsverletzungen in dem Kleinasienstaat.

Derzeit werden in Istanbul jeden Tag Aktien im Wert von 350 Millionen Dollar gehandelt. Immer neues Geld kommt von außen. Ein amerikanischer Markbeobachter warnt: „Die Leute kaufen nur Zahlen, keine wirklichen Werte.“ Doch sein Tip ist typisch für einen Börsen-Freak: „Kauf trotzdem. Aber sei bereit, Richtung Ausgang zu rennen.“ Reiner Metzger

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