: "Lesbisch waren nur die Asozialen"
■ Das Schicksal von Lesben im KZ verschwindet bis heute hinter dem der anderen Opfergruppen / Ein "Bündnis lesbischer Frauen" ruft anläßlich der 50-Jahr-Feier in Ravensbrück zur Kranzniederlegung auf
Berlin (taz) – Nur wenig ist bekannt über das Schicksal der lesbischen Frauen im KZ Ravensbrück. Ihr Schicksal verschwindet hinter dem anderer Opfergruppen. Während bei den Gedenkfeierlichkeiten zur Befreiung von Sachsenhausen am Sonntag auch ein Vertreter der Schwulen sprechen wird, steht bei den Feiern zu Ravensbrück kein offizielles Gedenken an die „lesbischen Schwestern“ auf dem Programm. Ein „Bündnis lesbischer Frauen“ aus Berlin und Brandenburg will aber ein kleines Zeichen setzen: In einem Aufruf laden sie dazu ein, bei den Feierlichkeiten am Sonntag gemeinsam einen Kranz niederzulegen.
Der Vertreter der Schwulen wird in Sachsenhausen der Träger des „rosa Winkel“ gedenken, von denen nach vorsichtigen Schätzungen 10.000 bis 15.000 in Konzentrationslagern inhaftiert wurden und viele den Tod fanden. Ob es in Ravensbrück dagegen überhaupt „rosa Winkel“ gab, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Die unvollständigen Lagerakten geben darauf keine klare Antwort. Und die Erinnerungen Überlebender widersprechen sich. Sicher ist: Paragraph 175 galt auch im Nationalsozialismus nur für Männer.
Im Zuge der Verschärfung des Paragraphen 175 wurde zwar darüber nachgedacht, auch „lesbische Liebe“ zum Straftatbestand zu erheben. Doch dieser Gedanke wurde schnell wieder fallengelassen. Denn weibliche Homosexualität galt den Nazis als vergleichsweise geringe Gefahr für den „Volkskörper“ – sowohl aus sittlicher als auch aus bevölkerungspolitischer Sicht.
Obwohl sich kaum Hinweise finden, daß „lesbische Liebe“ den Ausschlag für Inhaftierungen gab, blieben lesbische Frauen von Verfolgung und KZ nicht verschont. Viele wurden als „Asoziale“, oft unter dem Vorwurf der Prostitution, eingeliefert und mit dem schwarzen Winkel gekennzeichnet oder als „Kriminelle“, zum Beispiel wegen „Nötigung zur Unzucht“. Dadurch gehörten sie unweigerlich zu den untersten Klassen innerhalb der Lagergesellschaft. Fast alles aus der Erinnerungsliteratur zu Ravensbrück stammt aus der Feder ehemaliger politischer Häftlinge. In etlichen dieser Aufzeichnungen finden sich Hinweise auf lesbische Frauen und lesbische Beziehungen im Lager. Und sie sprechen Bände, wenn auch nicht immer so kraß wie bei der Polin Wanda Poltawsk, einer strenggläubigen Katholikin: „Der elfte Block ... schon die Erinnerung läßt mich frösteln! Ein Block, in dem wir zum ersten Mal mit der Scheußlichkeit des seltsamen Wortes „elel“ bekannt wurden (LL = Lesbische Liebe). Überall waren Augen, ekelhafte Augen, die unsere Nacktheit beobachteten. Ich konnte mich nicht ausziehen, wartete, bis sie das Licht löschten.“ Weiter heißt es: „Die lesbische Liebe verbreitete sich wie eine Epidemie. Frauen, die sich anfangs mit Ekel gesträubt hatten, gaben dann doch langsam nach. Es war wie eine Seuche, wie ein Brand, wie eine Leidenschaft.“
Kaum weniger diskriminierend lassen sich andere ehemalige Ravensbrückerinnen aus über einzelne oder Gruppen von Frauen, die sie als lesbisch charakterisieren. Lesbisch ist das gleiche wie asozial, diese Gleichsetzung der SS, in der sich die Homophobie der NS-Gesellschaft spiegelte, wurde von den politischen Häftlingen übernommen. Margarete Buber- Neumann, wohl eine der prominentesten „Politischen“, unterhielt im Lager eine innige Beziehung zu der tschechischen Journalistin Milena Jesensk, über die sie später schwärmerisch Zeugnis ablegte. Aber nicht ohne zu versichern: „Leidenschaftliche Freundschaften waren unter den Politischen genauso häufig wie unter den Asozialen und den Kriminellen. Nur unterschieden sich die Liebesbeziehungen der Politischen von denen der Asozialen meist dadurch, daß die einen platonisch blieben, während die anderen ganz offen lesbischen Charakter hatten.“
Solche „leidenschaftlichen“ Bindungen werden in vielen Erinnerungen ausführlich geschildert, spielten doch Freundschaft, Treue und absoluter Zusammenhalt eine wesentliche Rolle beim Überleben. Beziehungen mit „lesbischem Charakter“ hingegen waren tabu. Zumal die „LL“ ein besonderes Haßobjekt der SS waren. Was die Aufseherinnen als „lesbische Manifestationen“ erachteten, wurde oft drakonisch verfolgt. Schon Arm in Arm zu gehen war verboten und wurde mit Prügel geahndet.
Die kleine Gedenkdemonstration in Ravensbrück soll keine Gegenveranstaltung zur offiziellen Zeremonie werden. Die Initiatorinnen hoffen vielmehr auf Begegnungen und Gespräche mit ehemaligen Häftlingen. Und darauf, daß eine der hohen RednerInnen, gemäß der Bitte der brandenburgischen Lesbenbeauftragten Gabriele Kerntopf „auch Worte für das Leid der lesbischen Frauen findet, die hier litten und starben“. Ulrike Helwerth
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