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Jetzt bloß nicht weinen

■ Der Samstag ist in Oslebshausen ein kurzer Tag. Dann konkurriert Theater mit Haareschneiden oder Bolzen. Ein Nachmittag im Knast mit einigen Insassen und einer belgischen Theatertruppe.

Karim* ist unschuldig. In die Schlägerei damals geriet er nur, weil er seinem Kumpel helfen wollte. Dafür sitzt er nun in Oslebshausen ein; „mein Kumpel ist frei.“ Peter geht es ähnlich: sein Ex-Kollege machte sich mit 250.000 Mark auf und davon. Ihn, Peter, haben sie eingelocht. „Irgendjemand mußte ja herhalten.“ Nur Herwig gibt zu, daß er wirklich was ausgefressen hat, aber das war ja schon 1989. Eingefahren in den Bau ist er erst vor kurzem, obwohl die Sache „ewig her“ ist und darum kaum noch der Rede wert.

Was draußen Tabuthema ist – Straftat und Knast – gehört hier zum Alltag. Theater nicht. Sowas gibt es nur alle paar Monate. Für heute ist eine Brüsseler Gruppe angekündigt: „Mosaic“. Zwölf Jugendliche, die das Leben in einer armen Brüsseler Vorstadt zusammengewürfelt hat, spielen schonungslose Szenen aus ihrem Leben. „Utopia“ heißt das Sammelsurium aus Improvisationen, die sie gemeinsam entwickelt haben. Taschendiebstahl, Anmache, Gemeinheit, Zärtlichkeit und Mord, in Szene gesetzt. Nur wenige arabische, französische und deutsche Worte erklären, was hier gespielt wird. Wirklich wichtig sind Mimik und Gestik.

„Wo die Jugendlichen herkommen, ist es wie hier, in Osterholz-Tenever“, erklärt die Knast-Lehrerin Astrid Müller dem Publikum. 20 eingeladene „auswärtige“ Theaterinteressierte sitzen vor ihr, und 25 Männer aus der Anstalt – ein Bruchteil von 400 Inhaftierten. In Jeans und Sportjacken sehen sie aus wie die Jugendlichen der belgischen Truppe – nur älter. Und bleicher sind sie auch, Karim, Herwig, Peter und die anderen – und das nicht nur, weil den Brüsseler Vorstadtjugendlichen die marokkanische Herkunft noch in die dunklen Haare gekräuselt ist.

Alleine oder in kleinen Grüppchen von zwei, höchstens drei Männern sitzen die Knackis in der Aula, zeigen möglichst wenig Regung oder rollen hektisch eine Zigarette. Dagegen müssen die Jugendlichen anspielen. Mit ihrer Mimik, ihren neugierigen Blicken und den unendlich abschätzigen Grimassen gelingt ihnen das. Sie bringen ihr Publikum zum Lachen – und manchmal zu tiefem Schweigen, wie in der Szene, als der Amok-läufer die Menschenmenge mit der Pistole bedroht. Im Zeitlupentempo kriecht der Terror in die Gesichter der SchauspielerInnen. Kleine Grüppchen verknäueln angstvoll ineinander: Passanten. Das Paar. Die Familie. Dann fällt der lautlose Schuß. Nur die Hand und das Gesicht des Durchgedrehten zeigen an, was passiert. Ein Kind ist getroffen. Die Menge erstarrt in Furcht. Die Mienen des Publikums versteinern, als der zarte Junge mit den fröhlich abstehenden Ohren auf den grauen Teppichboden der Aula gleitet. Verstohlen wischt sich ein Zuschauer über die Schläfe, als die Eltern das Kind aufheben und mit ihm im Arm auf das Publikum zugehen. Ganz nah, keinen Schritt vor der ersten Reihe entfernt, bleiben sie stehen. Den Haufen entsetzter, fassungsloser Mienen beleuchten die hängenden Neonlampen der Knast-Aula nun gleichmäßig; seitlich, ins türkis durchbrochene Fenster, scheint die Sonne. Es ist kurz nach drei am Samstagnachmittag.

Einer paßt auf, daß die Emotionen nicht umkippen. Das ist Christian, der Leiter der Truppe. Während der ganzen Vorstellung sitzt er neben den drei schwarzen Stellwänden, die die Kulisse darstellen, dosiert die Musik mal laut, mal leise, gibt manchmal eine Direktive: „Damit es nie zu traurig wird. Hier darf ja niemand weinen.“ Die Gruppe arbeite „am Überleben und nicht am Theater“, sagt er. „Wer bei uns mitmachen will, kommt und klingelt einfach. Den Rest übernehmen alle gemeinsam.“

Nur wer vom Schauspiel nicht völlig gebannt ist, nimmt Christian wahr. Er aber sieht alles: Wie sich die letzte Reihe hinten auf die unbequemen Lehnen der Holzstühle setzt, damit sie alles sehen kann, und daß die Jungs vorne nach zehn Minuten zusammenrutschen, damit ihnen nichts entgeht. Auch daß sie plötzlich lachen – und warum, vermerkt Christian. „Mosaic“ spielt heute nicht zum ersten Mal im Knast.

Die attraktivste und frechste der Schauspielerinnen hat sich vorne ins Publikum gesetzt. Das gehört zu ihrer Rolle: Sie spielt ein Vorstadtmädchen, das sich vor einem anderen versteckt. Links und rechts von ihr wächst unter den Männern leise Unruhe. Herwigs blaue Augen saugen sich an der Schauspielerin fest. Erst als eine zweite Jugendliche kommt und sie spielerisch anruft: „Spielst du mit mir?“, schlägt die leise Spannung in der ersten Reihe in zweideutiges Vergnügen um. Später dementiert Herwig jeden sexuellen Hintersinn: „Wir haben doch alle Familie.“ Schon hängen seine Augen wieder an der jungen Frau: „Naja, wir haben auch kurz über Oberweite gesprochen.“

Die Mädchen von „Mosaic“ wissen, was los ist – auch, weil viele aus der Truppe Angehörige haben, die selbst im Knast waren. Christian hat dafür gesorgt, daß das Publikum das erfährt. „Kommen die selbst aus dem Ghetto?“, will Herwig nun wissen, während die SchauspielerInnen schon ihre Sachen zusammensuchen. Aber sein Kumpel mit dem Mecki-Schnitt zuckt nur kurz die Schultern. Weiß er auch nicht. Dann, ruckzuck, Themenwechsel. Die Zeit im Knast ist knapp. Sie reicht kaum für einen Applaus – obwohl die Männer im Publikum begeistert sind. Bei der fröhlichen Melodie am Schluß singen sie lauthals mit. Aber um halb sechs werden sie wieder in die Zellen eingeschlossen, vorher ist noch viel zu erledigen. Wer in verschiedenen Häusern wohnt, sieht sich selten. Samstags nachmittags beim Sport – oder beim Theater.

Eva Rhode

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