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■ Zum Karlsruher SpionageurteilEin abbrechender Schlußstrich

Die größten Heuchler sitzen in unmittelbarer Nachbarschaft des Karlsruher Bundesverfassungsgerichtes. Es sind die Mitarbeiter der Bundesanwaltschaft. Deren Chef, der Generalbundesanwalt Kay Nehm, begrüßte zwar gestern den Spruch der Verfassungsrichter als einen Beitrag zur Rechtssicherheit. Die Bundesanwaltschaft war es aber, die unter Nehms Vorgänger Alexander von Stahl, im Wissen um die anstehende Verfassungsgerichts-Entscheidung, Tausende von Ermittlungsverfahren neu einleitete. Spektakulär war besonders der Fall des Spionagechefs Markus Wolf: Die Anklagebehörde bestand auf der Durchführung des Prozesses gegen den Übervater aller „Kundschafter des Friedens“, obwohl bereits zu diesem Zeitpunkt das Berliner Kammergericht im Parallelverfahren gegen den Wolf-Nachfolger Großmann das Verfassungsgericht angerufen hatte.

Warten wollten die Bundesanwälte damals nicht. Sie zogen es vor, Fakten zu schaffen. Über 6.000 Ermittlungsverfahren sind seit dem Ende der DDR wegen Spionage eingeleitet worden, Hunderte von Urteilen wurden gefällt. Eine Lawine wurde in Gang gesetzt mit dem Kalkül, daß das Verfassungsgericht sich nicht getrauen werde, diese allesamt für hinfällig zu erklären. Erfreulicherweise haben sich die Karlsruher Richter dem widersetzt.

Der Schlußstrich, den der zweite Senat des Verfassungsgerichtes jetzt unter die deutsch-deutsche Spionage zieht, bleibt dennoch halbherzig. Ausdrücklich haben die Richter den Strafanspruch gegenüber den AltbundesbürgerInnen bestätigt, die für den Auslandsnachrichtendienst der DDR in der alten Bundesrepublik spioniert haben. Formal ist die Begründung – wonach diese um die Strafbarkeit einer solchen Tätigkeit wußten – korrekt. Von einer Verhältnismäßigkeit kann aber keine Rede sein, wenn etwa der im BND beschäftigte Hauptmann Alfred Spuhler wegen Agententätigkeit zu einer zwölfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wird, sein Führungsoffizier, der ihn dazu angestiftet hat, aber frei ausgeht. Der Druck auf die Bonner Politiker wird also steigen, über ein begrenztes Straffreiheitsgesetz dieses Ungleichgewicht zu beseitigen.

Bis es so weit kommt, werden wir neue Kapriolen der Bundesanwaltschaft erleben. Nicht zuletzt auf der Grundlage der vom USA-Geheimdienst CIA gelieferten Listen mit Namen und Registriernummern von Spionagefällen in der Bundesrepublik leiteten die Karlsruher Ankläger in den letzten Monaten erneut ein Welle von Ermittlungsverfahren ein. Diese Papiere, das räumen Experten ein, geben für eine Strafverfolgung wenig her. Das Kalkül der Bundesanwälte in diesem Fall: Geradezu weitsichtig sahen sie das Verfassungsgerichtsurteil kommen, durch das die Führungsoffiziere straffrei ausgehen. Schlagartig verlieren sie damit den Beschuldigtenstatus, der ihnen ein Aussageverweigerungsrecht einräumt. Jetzt können die früheren HVA-Mitarbeiter als Zeugen gegen ihre „Quellen“ benannt werden – und auf Aussageverweigerung steht die Drohung einer Beugehaft. In den Amtsstuben der Bundesanwaltschaft ist der Kalte Krieg keineswegs beendet. Wolfgang Gast

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