CannesCannes: Gute Männer und Frauen
■ Zhang Yimou, jetzt ohne Gong Li, schminkt sich etwas ab
Wenn Sie dies früh am Morgen lesen, legen Sie es einstweilen wieder weg, denn jetzt wird es unappetitlich: In allen fünf Filmen, die ich gestern gesehen habe, wurde gekotzt. Manchmal dezent, hinter dickem Panzerglas, wie in „Gute Männer, gute Frauen“; manchmal mit asiatischem Handauflegen wie in „Beyond Rangoon“; studentisch in Gesellschaft, wie in „Kids“. Was hat das zu bedeuten? Das Abjekte? Worüber man nicht sprechen kann, davon soll man kotzen? Irgendwie bestätigt es den Eindruck, den man bei diesem Festival nicht los wird: Es wird zuviel hineingeheimnist.
Nach dem vielen Gezerre, das es mit den chinesischen Behörden um Zhang Yimous neuen Film „Shanghai Triad“ gab, waren die Erwartungen hoch. Die erste Einstellung ist symptomatisch für das Ganze: Großaufnahme vom etwas blöd-erstaunten Gesicht eines Jungen, der gerade in Schanghai angekommen ist und nur noch Bahnhof versteht. Der Film tastet sich unentschieden an verschiedenen Genres entlang, ohne zu einer Mitte zu finden: Mafia-Pic der dreißiger Jahre, opiumverwehtes Musical, ein schlichtes Vehikel für Gong Li (die allerdings betäubend schön ist) und zum Schluß sogar noch ein Hauch von Bergman. Der Junge soll am „Hof“ des Patrons mit seinem barocken Regelwerk und seinen Messerstechereien den Lakaien der Mätresse machen; aber er weiß nicht, was er mit ihrem goldenen Feuerzeug, ihren feuerroten Kleidern und ihren nächtlichen Eskapaden machen soll. Er muß immer um sie sein, aber unsichtbar; er soll umsichtig sein, darf aber nicht schauen – es fällt schwer, nicht an Zhang Yimous eigene Situation als chinesischer Filmemacher zu denken, der zwar im Ausland chinesische Hochkultur repräsentieren, aber sie zugleich nicht wirklich machen soll. Die beiden, die bislang ein Paar waren, sind nach dem Film übrigens auseinandergegangen. Frostig versicherte man auf der Pressekonferenz, man werde weiterhin zusammenarbeiten. Es war zum Heulen. Gong Li auf der Bühne als chinesische Liza Minelli: das Kühle am Vampirismus hat sie drauf, aber die Cabaret-Frivolität, die man braucht, um Gassenhauer in Strapsen zu singen, fehlt ihr gänzlich. Macht nichts: in der zweiten Hälfte zieht der Film aus Schanghai ab auf eine Insel, die Farben wechseln von Gold und Rot zu einem unerhört sanften Grünblau, auch eine Bäuerin und ihre Tochter tauchen auf. Der Patron ist mit seiner Konkubine auf diese Insel geflohen, weil ihm der Opiumkrieg zu heiß wurde. Gong Li beobachtet eines nachts durch die Ritzen der Holzhütte, wie die Bäuerin mit ihrem Liebhaber schläft; das hat was von der Naturlektion in Lady Chatterley: Vergiß die städtische Dekadenz, biology rules, Kultur und Lüge sind eins. Auch hier wieder, wie schon in „Leben“, Zhangs letztem Film, hat man den Eindruck, ein Intellektueller versucht sich von seinen Hoffnungen zu verabschieden; schon rein ästhetisch wirkt der langsame Verlust der Farbe, als hätte sich hier jemand im wahrsten Sinne des Wortes etwas abgeschminkt.
„Ach, heut machen wir mal Fisch“, hatte es zunächst harmlos in der Wohnwabe geheißen, dazu gab es aber schon am hellichten Tag Wein und Schampus, so daß die ganze studentoide Mischpoke in einen komatösen Schlaf verfiel, aus dem wir direkt in Manuel de Oliveiras „Der Konvent“ schlichen. Das erwies sich als außerordentlich passend, denn der Film ist von einer Bedächtigkeit, die mitunter zwar etwas literarisch überfrachtet wird (ein Professor, John Malcovitch, geht mit seiner Frau, Catherine Deneuve, in ein Kloster, um dort Unterlagen zu finden, mit denen er Shakespeare als spanischen Juden outen könnte), aber trotzdem meistens irgendwie in Ordnung ist. Am Ort gibt es einen Mephisto und eine hübsche junge Temptress, und einer der schönsten Momente dieses Festivals war die Nacht, als alle aneinander dachten und nichts voneinander wußten. Es kommt zu mondbeschienenen zarten Handreichungen. Eine Gewähr kann für die wohlwollende Besprechung dieses Films allerdings nicht gegeben werden. mn
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