Enten, Essentials etc.: Gestern Mutlangen, heute Love Parade?
■ Müll – kein Problem mehr. Aber wie politisch ist die Berliner Techno-Szene?
Noch immer ist der diesjährige Zug über den Ku'damm nicht (ganz) gesichert. Doch am Müll soll's nicht scheitern. In Windeseile haben die Organisatoren der Love Parade das von Berlins Innensenator Heckelmann ins Feld geführte fiskalische Argument – Berlin könne die 250.000 Mark Reinigungskosten nicht tragen – vom Tisch gewischt.
Die Berliner Stadtreinigung und die private Entsorgungsfirma Alba fegen den befeierten Ku'damm kostenlos, ein Sponsor aus der Zigarettenbranche organisiert die Getränkeversorgung inklusive Pfandbechersystem, freiwillige „Trash Terminators“ mahnen die Teilnehmer der Parade, ihre ausgeblasenen Trillerpfeifen und anderen Unrat nicht auf die Straße zu werfen und werden dafür mit einer coolen Uniform entlohnt – es wäre schon sehr verwunderlich gewesen, wenn es der in punkto Sponsorenakquise und Organisation von Massenevents äußerst fähigen Technobewegung nicht gelungen wäre, sich der Lappalie Ku'damm- Müll zu entledigen. Der Streitpunkt ist gegenwärtig ein anderer: Wie die Veranstalter am Mittwoch auf einer Pressekonferenz bekanntgaben, werden sie darauf bestehen, daß ihr Umzug als politische Demonstration anerkannt wird, ein Status, der in den letzten sechs Jahren gewährt, dieses Jahr jedoch verweigert wurde.
„Wir haben gegen den entsprechenden Bescheid des Polizeipräsidenten Verwaltungsbeschwerde eingelegt“, sagt William Röttger, Geschäftsführer des Techno-Labels Low Spirit und organisatorischer Helfer des Love-Parade-Erfinders DJ Dr. Motte, „notfalls werden wir für die Freiheit des Demonstrationsrechts vor Gericht gehen und versuchen, eine einstweilige Verfügung zu erwirken.“
Irgendwelche Kompromißlösungen – beispielsweise eine Umwidmung der Love Parade zu einem mit behördlicher Unterstützung durchgeführten Straßenfest – will man nicht akzeptieren: entweder Demo, oder die Party ist gestorben. Hinter diesem Beharren auf Essentials, eine aus der pragmatischen Techno-Bewegung eher unbekannte Verhaltensweise, verbergen sich zwei Motive. Zum einen sehen die smarten Organisatoren genau, daß ihre Chancen, gegen den wieder einmal durch besondere Unbedachtheit auffallenden Heckelmann zu obsiegen, sehr gut sind.
Trotz Christo liegt Berlin derzeit touristisch so sehr am Boden, daß es sich nie und nimmer leisten kann, eine Attraktion wie die Love Parade aufzugeben. Zum anderen finden sich in Wahlkampfzeiten immer politische Fürsprecher für massenrelevante Streitpunkte; Politiker aller Parteien, auch der CDU, haben sich nach Bekanntgabe des Verbots auch prompt durch öffentliche Unterstützung der Love Parade als jungendpolitische Vorreiter zu profilieren versucht.
Eigentlich ist es jedoch Szenepolitik und Szeneprestige, das die Veranstalter zu ihrer Standhaftigkeit veranlaßt: Es geht vor allem darum, den internen Konkurrenten zu beweisen, wer immer noch die Nummer eins ist. Denn der Führungsanspruch der Berliner Low-Spirit-Posse um Westbam, DJ Dick und Marusha wird derzeit massiv angefochten. Der von Low Spirit veranstaltete Mayday- Rave dümpelt vor sich hin, in München wird derweil nicht nur die erfolgreiche DJ- und Dance- Messe Club Convention aufgezogen, es fand kürzlich außerdem eine Love-Parade-Kopie nahmens Union Move mit 60.000 Teilnehmern statt, die sehr wohl als Demo genehmigt wurde.
Was München kann, muß Berlin auch können – alles andere wäre für die erfolgsverwöhnten Berliner Techno-Köpfe eine Katastrophe.
Wer meint, im Steit um das Label „politisch“ seien erste Merkmale einer gesellschaftlichen Schnittstelle der Bewegung – Fernziel Techno-Partei – zu orten, sollte vorsichtig sein. „Gestern Mutlangen, heute Love Parade“ – die in einer Presseerklärung aufgestellte Verbindung zur Protestkultur der Friedensbewegung ist eine leicht zu durchschauende Finte.
Die Love Parade ist etwa so politisch wie ein Sonnenbad oder ein Besuch im Fitneßstudio – und das wissen die auf dem Ku'damm zusammenkommenden Techno- Jünger, die die von ihren Organisationsleitern dahergeschwindelte Programmatik seit Jahren ignorieren, am allerbesten. Johannes Waechter
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