: Hundstage in Indien
Eine Hitzewelle forderte bisher über 300 Opfer / Es herrscht Wassernotstand – und bei Politikern offenbar das Marie-Antoinette-Syndrom ■ Aus Delhi Bernard Imhasly
Eine Hitzewelle sucht gegenwärtig Nordindien und Pakistan heim. Temperaturen erreichen neue Rekorde, und in einigen Orten sind Werte über 50 Grad Celsius gemessen worden. Rund 300 Menschen sind bisher allein in Indien an Hitzschlag gestorben.
Wie üblich kommt das Unheil nicht allein: Aufgrund der Wasserknappheit trinken die Menschen verseuchtes Wasser, was zum Ausbruch von Cholera-Epidemien führt; und aus der Bergregion des Kumaon werden Waldbrände gemeldet. Feuersbrünste verschonen auch die Städte nicht.
Vor einigen Tagen entwickelte sich eine harmlose Abfallverbennung in Neu-Delhi zu einem Inferno. Ein Sandsturm aus der nahen Wüste von Rajasthan fegte die Funken plötzlich über einen Bazar für Plastikwaren – laut Zeitungen „Asiens größter PVC-Markt“ –, und im Nu gingen um die zweitausend Läden in Flammen auf. Der dichte Qualm verbrennender Plastikbehälter behinderte die Feuerwehr, und einen Tag lang hing eine giftige Wolke über der Stadt.
In mehreren Staaten ist inzwischen der Wassernotstand ausgerufen worden. Sogar in der gehätschelten Hauptstadt Delhi kommt es zu Rationierungen, und beinahe täglich gibt es spontane Demonstrationen: Menschen, die in den Armenquartieren vor den öffentlichen Zapfstellen warten, haben nach Stunden in der Hitze genug und ziehen vor das nächste öffentliche Gebäude und zerschlagen dort in ohnmächtigem Protest ihre Tonkrüge. Doch die Regierung ist weitgehend machtlos: Sie hat zwar Lieferverträge mit den Nachbarstaaten, diese aber wollen zuerst lieber ihre eigenen BürgerInnen versorgen.
Letzte Woche mußte Delhis Chefminister Khurana zum bekannten indischen Schlangenbeschwörer-Trick greifen, um seine Kollegen zu erweichen: Er kündigte einen Hungerstreik an, falls das benachbarte Haryana seine Schleusen nicht öffnete.
Ein Telefonanruf des prominentesten Einwohners der Hauptstadt, Premierminister Rao, überredete schließlich den Chef des Bundesstaates. Die „Delhiwallahs“ hatten wieder ein paar Tage lang Wasser, und die drei Politiker hatten sich politische Pluspunkte geholt.
Wie üblich trifft die Wasserknappheit die Armen stärker als die Wohlhabenden. Die Slums und die riesigen Wohnwüsten der Staatsangestellten hängen vom Gemeindewasser ab, das theoretisch zweimal am Tag eine Stunde lang hereintropfen sollte. Aber wer nicht schon am Vorabend die Behälter bereitgestellt und die Hähne geöffnet hat, kommt zu kurz. Die meisten privaten Häuser haben ihre eigenen Pumpen installiert, mit denen sie aus dem Hinterhof Wasser aus dem immer tiefer sinkenden Grundwasser ziehen. Dafür rächen sich die Armen beim Elektrizitätsverbrauch.
Das illegale Anzapfen des öffentlichen Stromnetzes ist so weitverbreitet, daß Khurana seine Stadt kürzlich „die größte Diebesstadt der Welt“ genannt hat. Kein Wunder, daß die Elektrizitätsbehörde im dunkeln tappt, wenn man sie fragt, wieviel Strom die Stadt verbrauche.
So kommt es zu den gefürchteten plötzlichen Stromzusammenbrüchen. Um sich vorzusehen, greift die Behörde daher zum altbewährten „Load Shedding“, in dem den Quartieren abwechslungsweise zwei Stunden im Tag der Strom abgestellt wird. Auch hier haben die Wohlhabenden einen Ausweg gefunden: Dieselgeneratoren, die im Sommer zum Statussymbol Nummer Eins werden. Aber selbst dieser Ausweg wird bald einmal blockiert sein: Zu Wochenbeginn kündigten die Zeitungen eine akuten Mangel von Dieseltreibstoff an.
Die Bürgerinnen und Bürger haben keine Wahl, als sich in ihr Schicksal zu fügen und das Beste daraus zu machen.
Religiöse Organisationen ziehen auf den großen Straßen Zelte hoch und verteilen Wasser, mit Rosenessenz versüßt. Mancher Hausbesitzer stellt einen Tonkrug mit Wasser vor sein Tor, an dem sich der Postbote oder der Straßenkehrer laben können.
Stromunterbrechungen in der Nacht bringen die ganze Bevölkerung auf die Straße, und es kann vorkommen, daß man um zwei Uhr morgens Nachbarn miteinander plaudern sieht, während die Kinder Versteck spielen, was ohne Straßenbeleuchtung keine Schwierigkeit macht.
Die wichtigsten Händler-Organisationen Delhis haben klugerweise diese Zeit gewählt, um gegen ein neues Mietgesetz zu streiken und die Läden herunterzulassen – die Kunden sind ohnehin rar, und warum seinem Protest nicht in Form einer langen Siesta Ausdruck geben? Die Regierung ihrerseits benimmt sich wie Marie Antoinette. Sie hat für die Zeit des Streiks ein Alkoholverbot erlassen, was im lokalen Jargon pikanterweise dry days heißt – als griffen die Einwohner einfach zum Alkohol, um ihre trockenen Kehlen zu netzen.
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