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■ Die Reichstags-EnthüllungsstoryEin Christo-Monitor packt aus

Berlin (taz) – Bei Christo und Jeanne-Claude werde ich zum Gruppenführer ernannt. Warum, weiß ich nicht, trotzdem folgen mir am ersten Arbeitstag 14 Monitore zur Ostfront des Reichstages. Monitore betreuen Besucher und tragen Identitätskarten an weißen Kordeln. Meine Karte baumelt an einer blauen Kordel. Außerdem verfügt jeder Gruppenführer über ein Funkgerät. Das ist nützlich, weil ich darüber wichtige Besucherfragen absetzen kann: „In welchem Hotel wohnen die Christos?“ – „Wo ist das VIP-Zelt?“ – „Wo genau liegt der Führerbunker?“ Nützlich ist es auch für meine direkten Vorgesetzten, die beiden Schichtleiter: „Kai, wo steckst du? Du bist nicht an deinem Abschnitt.“ – „Ich bin im achten Klo, von Norden aus gerechnet.“

Plötzlich weht der rote Schopf von Jeanne-Claude auf mich zu. Christos Frau hat die Erfahrung gemacht, daß Geldsparen teuer sein kann. Zum Beispiel wenn die „Verhüllte Reichstag GmbH“ für ihre Monitore 1.200 Feldflaschen einkauft. Die waren von der NVA und inzwischen leider schimmelig geworden. Jeanne-Claude baut sich vor mir auf und mustert mich. „You are groupleader, ey?“ Sie schärft mir ein, dafür Sorge zu tragen, daß jeder meiner Monitore seine „Bonaqa“-Flasche kennzeichnet. Die Flaschen ersetzen die Feldflaschen, und ich bin persönlich dafür verantwortlich, daß keiner aus der Flasche eines anderen trinkt. Jeanne-Claude zeigt auf eine kleine rote Aids-Schleife an ihrer Jacke: „Sie können sich sonst infizieren.“

Die beiden Schichtleiter wirken gehetzt. Über Funk kann ich verfolgen, wie sie mit Flugblattkartons, Akkus und Essensmarken zwischen den Gruppen hin und her eilen. Während der Nachbesprechung zur Samstagsschicht machen sie uns Gruppenführern einen Vorschlag: „Es gibt so viel zu besprechen. Wir sollten uns künftig statt einer halben Stunde eine Stunde vor Schichtbeginn treffen. Das ist auch gut für euch.“ Gut und unbezahlt. Aber es sind ja eh nur 8,67 Mark netto für jede der sechs Schichtstunden, und überhaupt: Geld ist nicht alles. Ein Gruppenführer will früher kommen, wenn er ein zusätzliches von den versprochenen Postern mit Christo- Signatur kriegt. Auch die Monitor- T-Shirts sollen am Ende signiert werden, heißt es.

Besonders nervös werden die Schichtleiter, wenn sich Simon meldet. Simon gehört zum engsten Kreis der Christo-Familie. Über seine schmalen Lippen dringt nur das Notwendigste, und das setzen andere sofort um. Während der Monitorenschulung im Haus der Kulturen der Welt hatte der „Geschäftsführer der Verhüllten Reichstag GmbH“, Roland Specker, nach jeder Pause gewartet, bis Simon mit seiner Dolmetscherin neben ihm auf dem Podium saß. Erst dann durfte zum Beispiel Polizeichef Daube erklären, wo's langgeht: „Was immer Sie tun, spielen Sie nicht den Helden. Das tun wir.“ Oder Specker durfte seinen Knaller loswerden: „Unter euch befindet sich Christian van der Lubbe. Christian ist direkter Nachfahre von Marinus van der Lubbe, das ist der Holländer, der 1933 den Reichstag angezündet hat. Christian, wo bist du?“ Im Saal erhebt sich ein schlaksiger junger Mann mit strohblondem Haar. „Ich heiße Vincent. Und bin auch nicht direkt mit Marinus verwandt. In Holland gibt es ungefähr 7.000 van der Lubbes.“

Am Sonntag begibt sich meine Gruppe um 5 Uhr morgens zum Hauptportal des Reichstages. Wir lösen die Nachtschicht ab, die unter Regenplanen auf Klappbänken hockt. Schichtleiter Ernst trägt mir auf, zwei Leute abzustellen für die Bewachung der nördlichen Zufahrtsstraße zum Reichstag. Die Monitore maulen, wollen sich nicht mit Autofahrern streiten, die meinen, unbedingt bis zur Freitreppe vorfahren zu müssen. „Das ist doch Aufgabe vom Wachschutz. Die wollen doch nur Geld sparen, indem sie uns das aufdrücken.“ Das leuchtet mir ein. Ich funke Ernst herbei. Der erläutert mir, daß wir jetzt alle eine Familie sind, alle gleich. Selbst Jeanne- Claude habe schon mal an einer Schranke Wache geschoben.

Die Gewerbekletterer rollen die ersten Stoffbahnen ab, stellen ihre Arbeit dann aber wegen zuviel Wind ein. Viele Besucher gehen wieder. Eine Stunde vor Schichtende taucht Simon an meinem Abschnitt auf. Er ruft mich zu sich. Mein Abschnitt sähe wie ein „Gypsy camp“ aus, ein „Zigeunerlager“. Er zeigt auf die Bänke und die Jutetaschen, die am gelben Bauzaun baumeln. Das gäbe ganz schlechte Bilder, und die gingen in alle Welt. Bei keinem Christo-Projekt hätten die Monitore gesessen. Simon sieht nicht ein, warum das in Deutschland anders sein soll, Deutsche seien schließlich keine Memmen. Ich bitte Simon, direkt mit meinen Leuten zu sprechen. Die räumen daraufhin die Bänke. Ich frage Simon, ob es nicht praktischer sei, die Bänke erst bei Schichtende abzubauen und zurückzubringen. „This is no matter of discussion!“ fährt Simon mich an, gar nicht mehr leise. Er funkt die beiden Schichtleiter herbei. Keine Minute später sind sie da, schauen betreten zu Boden und entschuldigen sich bei Simon für mich. In der Nachbesprechung orakelt Ernst, ein Abschnitt habe „sehr schlampig ausgesehen“.

Als ich in die Mitarbeiterkantine gehen will, ruft mich Simon zu sich. Er teilt mir mit, daß ich künftig seine Befehle ohne Widerrede zu befolgen habe. Ich sage, daß ich das nicht akzeptieren kann. „You are fired!“ brüllt mich Simon an. Ich soll ihm sofort mein Christo- T-Shirt und meine Identifikationskarte aushändigen. Dazu bin ich bereit. Aber erst möchte ich die von mir geleisteten Arbeitsstunden schriftlich bestätigt bekommen. Simon nennt mich daraufhin „troublemaker“, ich hätte die „wrong attitude“, sei negativ eingestellt. Simon stürzt in das Büro von Geschäftsführer Specker, der mitten in einer Besprechung ist. „Mach die Papiere von ihm hier fertig!“ Das soll zwanzig Minuten dauern. Ich schlage vor, daß ich erst essen gehe und wir dann Zug um Zug Bestätigung gegen Projektinsignien austauschen. Simon: „I don't trust you!“ Ich vertraue ihm auch nicht. Er stellt sich vor den Ausgang, versperrt mir den Weg. Aber da überreicht mir auch schon Schichtleiter Ernst die Bestätigung für meine Mitarbeit. Und plötzlich können Simon und ich uns einigermaßen gepflegt unterhalten. Über Demokratie, Hierarchie und so. Als Ernst sein „Wir sind alle gleich“ einflechten will, fährt ihm Simon über den Mund. Schließlich bietet er mir an, als Monitor ohne Leitungsfunktion weiterzuarbeiten. Aber ich finde, ich habe mehr als genug geleistet für dieses Kunstwerk. Kai Fürntratt

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