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Nicht nur geil, sondern auch schick

■ Kein Szeneprivileg mehr: Open house bei der Fetisch-Party im Bunker

„Ob Marianne oder Brigitte, lustig wär's, gäb's noch 'ne Dritte. Komm doch zu uns in die Mitte und gib jedem eine ...“ Derartige Suchmeldungen gibt es in unseren Stadtillustrierten zuhauf, doch liest sich diese noch direkt harmlos. „Das kuschelnde Schoßhündchen wird gestreichelt. Wenn es nicht pariert, saust die Peitsche. Seriöser, älterer Dompteur hat Halsband und Freßnapf für dich. Dürsten mußt du bei mir nicht ...“ – so annoncierte letztens einer unter der Rubrik „Harte Welle“ in der zitty.

Eine fremde Welt für jemanden mit einem so stinknormalen Liebesleben wie ich, doch bei der aus Jubiläumsgründen öffentlichen 25. Fetisch- und Fantasy-Party im Bunker waren Neugierige am letzten Wochenende willkommen. Natürlich war ein entsprechendes Party-Outfit im „Sexual Fantasy- Stil“ Pflicht. Mein Begleiter und ich gaben unser Bestes, und vielleicht konnten wir auch noch den Taxifahrer überzeugen – für die Szene indes waren wir wohl unschwer als AußenseiterInnen zu erkennen.

Und wie sahen die InseiterInnen aus? Das teilweise nicht mehr ganz taufrische Publikum, zum Großteil bestehend aus Schnauzbart- und teilweise aus Nackenspoilerträgern, bebrillten Sekretärinnentypen mit Miniplifrisuren präsentierte sich in Ganzlederkostümen mit Gesichtsmasken, in Gummianzügen, als amerikanische Cops (mit Handschellen und Gummiknüppel), als verkleidete Dominos, devote Damen und verpackte Sklaven, die sich an Halsbändern durch die archaischen Räume des Bunkers spazierenführen ließen sowie mit Strings und Strapsen. Den sexuellen Phantasien der BesucherInnen, die es ernst meinten, waren keine Grenzen gesetzt: Eine Chansonette sang zum Kontrabaß laszive Liebeslieder. Dann gab es natürlich auch einen Darkroom sowie einen gynäkologischen Behandlungsstuhl. Inspirierende Sado-Maso-Videos liefen in einem weiteren Raum, und da der Wäscheladen „Hautnah“ zu den Mitveranstaltern zählte, fand natürlich auch jede Menge Promotion statt: für Unterwäsche, Tätowierungen, Piercing und was die Szene sonst noch so zum Glücklichsein braucht. „Betrinken, bestrafen, befehlen, bewegen und betasten“ – lautete das offizielle Motto des Abends. „Und bezahlen“, ließe sich hinzufügen.

Kein Trend, sondern nur mehr Toleranz

„Sie sind sicherlich neu hier?“ Eine junge Frau im Gummikleid drückte uns eine Einladung für die nächste aufregende Sexparty in die Hand. „Drei verschiedene Studios, Klinikraum, Klassenzimmer und Kerker stehen zu Ihrer Verfügung“, warb der Flyer. „Wenn Sie irgendwelche Fragen haben, würde Dominique Sie gerne bei einem persönlichen Gespräch beraten. Lassen Sie sich nicht von den beiden Sklaven da vorne abschrecken“, beschwichtigte die Gummikleidträgerin und zeigte in den angrenzenden Raum.

Dominique? Die kenne ich! Und tatsächlich – die platinblonde Berufsdomina, die noch vor einer Woche das Fernsehpublikum von „Schreinemakers Live“ aufklärte, war ebenfalls anwesend. Sie saß an einem Tisch hinter zwei in Ketten baumelnden Sklaven, die sich unverdrossen von einer jungen Frau mit Wäscheklammern malträtieren ließen. Dominique führt nicht nur einen „Tempel der grausamen Lust“, sondern veranstaltet im Rahmen ihres Vereins „Sado/Masochistische Interessengemeinschaft e.V.“ kostenlose Beratungen für Profis wie für private Paare.

Bei dieser Fülle exzentrischer Lebensart mit etlichen kostspieligen Accessoires fragt man sich natürlich, ob es heutzutage nicht nur billig, sondern schon beinahe bizarr ist, ganz normal zu vögeln; ja nicht einmal tätowiert, gepierct oder wenigstens bisexuell zu sein? Ist Extremsex etwa der neue Trend, dem ich hoffnungslos hinterherhinke?

„Von einem Trend kann eigentlich keine Rede sein. Unsere Parties gibt es schon seit sieben, acht Jahren“, meint Michael Goos, einer der Veranstalter. „Früher fanden diese Treffen allerdings nur in kleinsten Kreisen statt, doch seit Ende der achtziger Jahre steht die breite Öffentlichkeit diesen Vorlieben ein wenig toleranter gegenüber. Die Schwellenangst, sich zu seinen Neigungen zu bekennen, ist dadurch natürlich merklich zurückgegangen. Nicht zuletzt aufgrund der Kreationen einiger Modemacher in Lack und Leder – das finden viele nicht nur geil, sondern einfach schick.“ Kirsten Niemann

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