: Fänger im Roggen hat's warm
■ Eine der häufigsten Getreidearten eignet sich als Dämmstoff / Ziele: gesundes Wohnen undneue Arbeitsplätze
Dämmstoffe aus Plastik, Baumaterialien aus Kunststoff – seit einiger Zeit sind sie in die Kritik geraten. Meist basieren sie auf Stein, Glas, Ton oder auf synthetisch gewonnenen Produkten. Seit der Diskussion um den Krebserreger Asbest ist bekannt, wie problematisch die Verarbeitung von feinsten Fasern ist, die auch in mineralfaserhaltigen Dämmstoffen vorkommen. Krebsgefahr attestierte die Kommission für maximale Arbeitsplatz-Konzentration (MAK).
Zudem sind die mineralhaltigen Dämmstoffe in Entsorgung und Herstellung problematisch: Hoher Energieaufwand bei der Herstellung, der Einsatz von Treibgasen zum Aufschäumen sind ökologisch unvertretbar. Um so bedeutender wird die Suche nach alternativen Dämmstoffen auf organischer Basis. Am besten sollen es nachwachsende Rohstoffe sein. Und da gibt es bereits einiges: Dämmstoffe auf Basis von Papier oder Schafwolle, Kork oder Flachs. Und nun rückt man auch dem Roggen zu Leibe. Nicht nur für würzige Brote und knusprige Schusterjungen, auch als Dämmstoff soll die goldgelbe Graspflanze, eine der wichtigsten Getreidesorten Europas, in Zukunft eingesetzt werden.
Das Institut für Getreideverarbeitung in Rehbrücke bei Potsdam hat vor kurzem die Entwicklung von Ceralith abgeschlossen, einem Dämmstoff auf Roggenbasis. Ceralith wird als poröses Granulat gewonnen. In Zukunft will man versuchen, es auch zu Platten zu pressen. Durch die Zumischung mineralischer Stoffe wie keramischer Erden und Bindemitteln bekommt Ceralith zusätzlich wärme- und schalldämmende Eigenschaften. Damit ist es für den Hausbau geeignet. Die Vorteile des Ceraliths: Es enthält weder Kunststoffzusätze noch Mineralfasern. „Bereits in der Herstellung“, sagt Uwe Lehrack vom Institut für Getreideverarbeitung, „ist es gesundheitlich unbedenklich.“ Zudem erfordert seine Verarbeitung weniger Energie, kein Trinkwasser, und der Stoff kann umweltfreundlich entsorgt werden.
Zwar ist Ceralith aus verschiedenen Getreidesorten herstellbar. In Brandenburg aber soll Roggen genutzt werden, da diese Getreidesorte hier besonders viel angebaut wird. 120 Kilogramm Getreide sind für die Herstellung von einem Kubikmeter Ceralith notwendig, 45 Kubikmeter werden zur Isolierung eines einstöckigen Hauses gebraucht: der Ertrag von fünf Hektar Getreidefläche.
Bei einem angestrebten Marktanteil von einem Fünftel der organischen Dämmstoffe würden jährlich 30.000 Tonnen Roggen gebraucht. Geht das marktstrategische Kalkül auf, wäre dies eine neue Absatzchance für Roggen in Brandenburg. Das sichert Arbeitsplätze in der Landwirtschaft.
Außer zur Herstellung von Ceralith kann Roggen zu Loose-fill- Produkten verarbeitet werden: zu kleinen Füllkugeln, die zwischen Hohlrumen im Baukörper ebenso wie bei Verpackungen eingesetzt werden können.
Roggen taugt jedoch nicht nur als Dämmstoff. Das Stroh läßt sich beispielsweise in der Zellstoffproduktion einsetzen, die Stärke aus Roggenschrot kann als Bindemittel in der Papierherstellung verwendet werden. Auch ein Kunststoff aus Roggen ist nicht mehr unmöglich. Das Schrot würde zu einem thermoplastischen Granulat umgewandelt, das wie ein Kunststoff weiterverarbeitet werden kann. Ein Messer aus Roggenplastik gibt es schon.
Das Ei des Kolumbus sind auch die organischen Baustoffe bislang nicht. Viele sind einfach zu teuer, und: „Die meisten Dämmmaterialien sind nur eingeschränkt feuerhemmend, nicht beständig gegeünber Pilzen und Nagetieren“, bemängelt Ludwig Leible von der Abteilung für angewandte Systemanalyse am Forschungszentrum Karlsruhe. Ceralith habe diese Nachteile aber nicht, betont man im Institut für Getreideverarbeitung. „Die natürlichen Stoffe sorgen zwar für ein besseres Raumklima, denn die diffusionsfähigen Materialien ermöglichen den natrülichen Abzug von Wasser aus den Häusern, so daß sich die Feuchtigkeit nicht wie unter einem Regenmantel staut“, meint Johannes Schmidt vom Institut für Baubiologie und Ökologie in Neubauren: „Doch sind sie nicht richtig verarbeitet, wird gar das synthetische Material nur durch das natürliche ersetzt, kann es zu Schwierigkeiten kommen.“ Deshalb müsse man entsprechend bauen und Dämmstoffe z.B. nicht hermetisch versiegeln. Denn dann können diese feucht werden und modern. „Diese Probleme erschweren die Markteinführung, zumal die großen Firmen mit den konventionellen Methoden viel höhere Gewinne machen“, meint Leible. Größere Chancen hätten da eher Pflanzenfarben oder natürliche Textilfasern als Tapeten. „Noch sträuben sich die Marktführer“, resümiert Johannes Schmidt, „doch die organischen Baumaterialien sind im Kommen.“ Dazu gehöre das endlich einsetzende Bemühen, die anfallenden Rohstoffe mit geringem Energieaufwand im Kreislauf wiederzuverwerten.
Anja Dilk
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen