Press-Schlag: Alte neue Besen
■ Finanzmisere und Führungskrise beim Behinderten-Sportverband
Immer fröhlich hereinspaziert zum nächsten Akt des Possenspiels. Mit Entwicklungen Schritt zu halten ist nicht einfach. Auch nicht für Sportverbände. Wenn allerdings zum Umsatz von Summen, die mittelständischen Betrieben entsprechen, mehr Dilettantismus als wirtschaftliche Kompetenz genutzt wird, beginnt der freie Fall. Auch der Deutsche Behinderten-Sportverband (DBS) versucht den Fallschirm zu öffnen. Kurz vor dem wirtschaftlichen Boden befindet sich der weltgrößte Behindertensportverband bereits. Als erste Konsequenz wurde dessen Präsidium am Samstag beim außerordentlichen Verbandstag mit Neuwahlen in Frankfurt am Main auf den Positionen des Präsidenten und des Schatzmeisters umbesetzt. Einen radikalen Führungswechsel gab es jedoch nicht, sieben von neun Mitgliedern gehörten schon dem alten Präsidium an.
Abseits der öffentlichen Wahrnehmung hat sich der DBS in eine Talsohle manövriert. Im Zuge der in puncto Zuschauerresonanz und Organisation mißratenen Weltmeisterschaft der behinderten Leichtathleten im Juli 1994 im Berliner Olympiastadion entstand ein finanzieller Fehlbetrag. Über dessen Höhe ist sich selbst der neue Präsident ein Jahr danach noch im unklaren. „Im Augenblick fehlen uns exakte Zahlen, was das Defizit angeht“, erklärte der 68 Jahre alte Theodor Zühlsdorf, bislang „Vize“. Einer Aufstellung des ausgeschiedenen Finanzchefs Karl Hermann Müller (ihn ersetzt Gerhard Knapp) zufolge sind 446.000 Mark an Außenständen durch die WM noch offen. Nachzahlungen der öffentlichen Förderer (Bundesinnenministerium, Berliner Senat und Europäische Union) können einiges kompensieren, runde 113.000 Mark plus das ausstehende Ergebnis einer Steueruntersuchung gelten dennoch als Fehlbetrag. Eine vernünftige Bilanz liegt bisher nicht vor, der „Kassensturz“ soll in den nächsten Wochen erfolgen. Das alte Präsidium wurde folglich nicht entlastet. Eingeweihte befürchten, daß all dies nur die Spitze des Eisberges der bisherigen DBS-Lotterwirtschaft sei.
„Berlin ist nicht Barcelona“, stellte Ex-Präsident Reiner Krippner nach der defizitären WM fest und erinnerte damit an die La-Ola-Wellen der begeisternden Paralympics 1992. Dort wäre sicher nicht der peinliche Fauxpas passiert, daß ein blinder Athlet als Fairneßpreis ein Bild überreicht bekam. Und auch nicht, daß erst neun Monate vor der Veranstaltung eine kleine Berliner Agentur mit Öffentlichkeitsarbeit und Vermarktung des nach den Paralympics bedeutendsten Ereignisses im Behindertensport beauftragt wurde.
All jenes wäre schon längst in Vergessenheit geraten, würde der Verband nicht durch die damalige Inkompetenz heute von der Hand in den Mund leben. Weil der DBS nicht in der Lage war, nennenswerte Eigenmittel zu erwirtschaften und stets am Tropf des Bundesinnenministeriums hing, hat er jetzt finanzielle Sorgen. Als alleinige Erklärung hierfür die Vorbehalte von Sponsoren gegenüber dem Thema der Behinderung anzuführen scheint zu simpel. Im DBS sind Abstimmungsprobleme und Konzeptlosigkeit akute Mangelzustände. Diese beheben, Ruhe und Eigenmittel beischaffen soll jetzt ein umbesetztes Präsidium und eine neu PR- und Marketing-Agentur.
Der neue Chef Zühlsdorf, lange Jahre in der Direktion eines rheinischen Chemie-Giganten tätig, macht zumindest einen fähigeren Eindruck als sein Vorgänger Krippner. Ein abgedroschenes Sprichwort sollte genügen: Es kann nur besser werden. Oliver Kauer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen